Vorkosigan 11 Spiegeltanz
akzeptieren, damit sie sich selber gegenüber unbefangen sein kann.«
»Schwierig? Kriminell, wie ich gehört habe.«
»Das ist sehr …« Der Graf zögerte. Ungerecht, erwartete Mark, oder unwahr, aber das Wort, das der Graf schließlich wählte, lautete: »… unvollständig.«
Sie gingen zwischen den Gräbern umher, wobei der Graf Mark Erläuterungen gab. Verwandte und Gefolgsleute … wer war Major Amor Klyeuvi? Mark fühlte sich an all diese Museen erinnert. Die Familiengeschichte der Vorkosigans seit dem Zeitalter der Isolation enthielt in nuce die Geschichte von Barrayar. Der Graf zeigte die Gräber seines Vaters, seiner Mutter, seines Bruders, seiner Schwester und seiner Vorkosigan-Großeltern. Wahrscheinlich waren alle früher Verstorbenen in der alten Distrikthauptstadt Vorkosigan Vashnoi bestattet und dann zusammen mit der Stadt von den cetagandanischen Invasoren zusammengeschmolzen
worden.
»Ich habe vor, hier beerdigt zu werden«, bemerkte der Graf, während er über den friedlichen See zu den Hügeln am anderen Ufer blickte. Der Morgennebel verzog sich allmählich von der Wasserfläche, Sonnengeglitzer begann durchzufunkeln. »Ich möchte der Masse auf dem Kaiserlichen Friedhof in Vorbarr Sultana aus dem Weg gehen. Man wollte meinen armen Vater dort 339
bestatten. Ich mußte deshalb wirklich einen Streit anzetteln, trotz der Erklärung in seinem Testament.« Er nickte in Richtung auf den Stein mit der Inschrift General Graf Piotr Pierre Vorkosigan, gefolgt von den Daten. Der Graf hatte offensichtlich den Streit verloren. Die Grafen hatten gewonnen.
»Hier habe ich einige der schönsten Zeiten meines Lebens verbracht, als ich klein war. Und später meine Hochzeit und die Flitterwochen.« Ein verzerrtes Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Miles wurde hier gezeugt. Und so in einem gewissen Sinn auch du. Schau dich um. Von hier kommst du. Nach dem Frühstück werde ich mich umziehen und dir mehr zeigen.«
»Ach … also … hm … hat noch niemand gegessen?«
»Man fastet, bevor man eine Totengabe verbrennt. Das ist vielleicht auch der Grund, warum Totenopfer oft am frühen Morgen stattfinden.« Der Graf lächelte leicht.
Für seine prächtige Paradeuniform konnte der Graf hier keine andere Verwendung haben, ebenso Elena für ihre graue Dendarii-Uniform. Sie hatten sie also extra für diesen Zweck mitgebracht.
Mark blickte auf die dunkle, verzerrte Spiegelung seiner Gestalt auf den blitzblanken Stiefeln des Grafen. Die konvexe Oberfläche verbreiterte ihn zu grotesken Proportionen. Sein zukünftiges Selbst? »Sind wir alle dann deswegen hierher gekommen? Damit Elena diese Zeremonie abhalten konnte?«
»Unter anderem.«
Das war ominös. Mark folgte dem Grafen zurück zum großen Steinhaus. Er fühlte sich von irgend etwas, das er nicht klar benennen konnte, beunruhigt.
Die Haushälterin servierte das Frühstück auf einer sonnigen Terrasse am Ende des Hauses, der Landschaftsgärtnerei und blühende 340
Büsche einen privaten Charakter gegeben hatten. Nur in Richtung auf den See war ein Ausblick in die Hecken geschnitten. Der Graf erschien wieder und trug nun alte schwarze Hosen einer Arbeitsuniform und eine Jacke im ländlichen Stil, weit geschnitten und mit einem Gürtel zusammengehalten. Elena gesellte sich nicht zu ihnen. »Sie wollte einen langen Spaziergang unternehmen«, erklärte der Graf kurz. »Das werden wir auch tun.« Klugerweise legte Mark sein drittes Süßröllchen in den mit einem Tuch abgedeckten Korb zurück.
Sehr bald war er über seine Zurückhaltung froh, als der Graf ihn direkt den Hügel hinauf führte. Sie erreichten den Gipfel und verschnauften. Der Anblick des langen Sees, der sich zwischen den Hügeln dahinschlängelte, war sehr schön und die Anstrengung wert. Auf der anderen Seite ging ein kleines Tal in eine Ebene über.
Neben Weiden, auf denen erdgrünes Gras kultiviert wurde, standen alte Stallungen aus Stein. Auf einer Weide trieben sich herrenlos wirkende Pferde herum. Der Graf führte Mark zum Zaun hinab. Nachdenklich blickend lehnte er sich darauf.
»Dieser große Schecke ist Miles' Pferd. In den letzten Jahren ist er ziemlich vernachlässigt worden. Miles fand nicht immer die Zeit zum Reiten, selbst wenn er zu Hause war. Das Pferd kam immer angerannt, wenn Miles rief. Es war wirklich beeindruckend, wenn man sah, wie dieses große träge Pferd aufstand und angelaufen kam.« Der Graf überlegte einen Augenblick. »Du könntest es mal
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