Vorkosigan 11 Spiegeltanz
versuchen.«
»Was? Das Pferd rufen?«
»Ich wäre neugierig zu sehen, ob das Pferd den Unterschied erkennt. Eure Stimmen sind … sehr ähnlich, zumindest für mein Ohr.«
»Dafür bin ich gedrillt worden.«
341
»Sein Name ist … hm … Ninny.« Auf Marks Blick hin fügte er hinzu: »Eine Art Kose-oder Stallname.«
»Und was soll ich tun? Hier stehen und ›Ninny, Ninny‹ schreien?« Mark kam sich schon jetzt wie ein Narr vor.
»Dreimal.«
»Was?«
»Miles hat den Namen immer dreimal wiederholt.«
Das Pferd stand am anderen Ende der Weide, hatte die Ohren aufgestellt und blickte zu ihnen herüber. Mark holte tief Luft und rief mit seinem besten barrayaranischen Akzent: »Hier, Ninny, Ninny, Ninny. Hier, Ninny, Ninny, Ninny!«
Das Pferd schnaubte und trabte auf den Zaun zu. Es rannte nicht gerade, obwohl es einmal hochsprang und die Hufe hochschleuderte. Es kam an und pustete Schaum über Mark und den Grafen.
Dann lehnte es sich gegen den Zaun, der knarrte und sich bog. So aus der Nähe gesehen war das Pferd verdammt riesengroß. Es streckte den großen Kopf über den Zaun. Mark wich hastig zurück.
»Hallo, alter Junge.« Der Graf tätschelte den Pferdehals. »Miles gibt ihm immer Zucker«, sagte er zu Mark über die Schulter gewandt.
»Kein Wunder, daß es dann angelaufen kommt!«, sagte Mark ungehalten. Und er hatte gedacht, es handle sich um den
Ich-liebe-Naismith-Effekt.
»Ja, aber Cordelia und ich geben ihm auch Zucker, doch wegen uns kommt er nicht angerannt. Da kommt er nur gemächlich angeschlendert.«
Das Pferd starrte ihn an, völlig verwirrt, wie Mark hätte schwören können. Hier hatte er eine weitere Seele betrogen, indem er nicht Miles war. Die beiden anderen Pferde kamen jetzt auch 342
herbei, in einer Art geschwisterlicher Rivalität. Die massigen Tiere drängelten sich an die Menschen heran und waren fest entschlossen, nicht zu kurz zu kommen. Eingeschüchtert fragte Mark leicht vorwurfsvoll: »Haben Sie denn Zucker mitgebracht?«
»Nun ja«, sagte der Graf. Er zog ein halbes Dutzend weißer Würfel aus seiner Tasche und reichte sie Mark. Vorsichtig legte Mark ein paar auf seine Hand und hielt sie soweit ausgestreckt, wie sein Arm reichte. Mit einem Protestschrei legte Ninny die Ohren an, schnappte nach beiden Seiten und vertrieb damit seine Rivalen, dann stellte er bedächtig die Ohren wieder auf und holte sich den Zucker mit großen, weichen Lippen. Auf Marks Handfläche blieb eine Spur von grasgrünem Schleim zurück. Mark wischte etwas davon am Zaun ab, zog seine Hosennaht in Erwägung und wischte den Rest dann doch am glänzenden Hals des Pferdes ab. Eine alte Narbe lief durch das Fell und fühlte sich uneben an. Ninny stieß ihn wieder, und Mark zog sich aus der Reichweite des Pferdes zurück. Der Graf stellte mit ein paar Rufen und Klapsen die Ordnung im Haufen wieder her – Aha, genau wie die barrayaranische Politik, dachte Mark respektlos – und sorgte dafür, daß auch die beiden Spätankömmlinge ihren Anteil Zucker erhielten. Danach rieb er sich ganz unbefangen die Hände an der Hosennaht ab.
»Möchtest du ihn gerne reiten?«, fragte der Graf. »Allerdings ist er in letzter Zeit nicht bewegt worden. Wahrscheinlich ist er ein bißchen frech.«
»Nein, danke«, würgte Mark hervor. »Vielleicht ein andermal.«
»Aha.«
Sie gingen am Zaun entlang. Ninny folgte ihnen auf der anderen Seite des Zauns, bis seine Hoffnungen von der Ecke zunichte gemacht wurden. Das Pferd wieherte, als sie fortgingen, ein erschütternd trauriges Geräusch. Mark zog die Schultern ein, als 343
hätte er einen Schlag bekommen. Der Graf lächelte, aber es mußte ihm so schrecklich vorgekommen sein, wie er aussah, denn das Lächeln erlosch auf der Stelle wieder. Er schaute über die Schulter zurück. »Der alte Bursche ist jetzt über zwanzig Jahre alt. Ganz schön alt für ein Pferd. Ich fange an, mich mit ihm zu identifizieren.«
Sie gingen auf den Wald zu. »Da gibt es einen Reitpfad … er führt in einem Kreis zu einer Stelle, von wo aus man einen Blick zurück zum Haus hat. Wir haben dort immer Picknick abgehalten.
Würdest du das gerne sehen?«
Ein Fußmarsch. Mark hatte keine Lust auf einen Fußmarsch, aber er hatte schon das Angebot des Grafen bezüglich des Reitens abgelehnt. Er wagte nicht, sich ihm zweimal zu verweigern; der Graf würde ihn ja sonst für … mürrisch halten. »In Ordnung.« Es waren keine Gefolgsmänner oder Leibwächter des Sicherheitsdienstes in Sicht.
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