Vorkosigan 11 Spiegeltanz
… seit … Auf jeden Fall fühlte sich seine Zunge dick und geschwollen an. Seine Brust schmerzte schrecklich. Aber Speichel floß; sein trockener Mund wurde wieder feucht. Man wußte Speichel nicht wirklich zu schätzen, solange man nicht gezwungen war, ohne ihn auszukommen. Sein Herz schlug schnell und leicht, wie flatternde Vogelschwingen. Es fühlte sich nicht ganz richtig an, aber zumindest fühlte er etwas.
»Wie heißen Sie?«, fragte sie ihn.
Der unterbewußte Schrecken, den er eifrig ignoriert hatte, gähnte schwarz unter ihm. Sein Atem beschleunigte sich in seiner Panik.
Trotz des Sauerstoffschlauchs bekam er nicht genügend Luft. Und er konnte ihre Frage nicht beantworten. »Ah«, flüsterte er, »ag…«
Er wußte nicht, wer er war oder wie er zu dieser riesigen Last Schmerz gekommen war. Das Nichtwissen erschreckte ihn viel mehr als der Schmerz.
Der junge Mann in der blaßblauen Medizinerjacke schnaubte.
»Ich glaube, ich werde meine Wette gewinnen. Der ist hinter den Augäpfeln koaguliert.« Er tippte sich an die Stirn. »Nichts als Kurzschluß dahinter.«
Die Frau runzelte verärgert die Stirn. »Patienten kommen nicht mit einem Plop aus der Kryostase heraus wie eine Mahlzeit aus der Mikrowelle. Die Heilung dauert genausolang, wie wenn die ursprüngliche Verletzung sie nicht getötet hätte, und sogar noch länger. Es wird ein paar Tage dauern, bis ich überhaupt beginnen kann, seine höheren neuralen Funktionen einzuschätzen.«
Doch sie zog etwas Scharfes und Glänzendes aus dem Revers ihrer Jacke und bewegte es über ihn hin, berührte ihn damit und beobachtete eine Monitoranzeige an der Wand über seinem Kopf.
Als seine rechte Hand auf einen Pikser hin zurückzuckte, lächelte 454
sie. Ja, und wenn mein Pimmel sich unter deiner Hand aufrichtet, dann werde ich lächeln, dachte er benommen.
Er wollte sprechen. Er wollte diesem blauen Kerl sagen, er solle sich mit einem Wurmlochsprung zur Hölle scheren und seine Wette gleich mitnehmen. Doch aus seinem Mund kam nur ein sinnloses Zischen. Er zitterte vor Frustration. Er mußte funktionieren oder sterben. Dessen war er sich todsicher. Sei der Beste, oder du gehst unter.
Er wußte nicht, woher diese Gewißheit kam. Wer würde ihn töten?
Er wußte es nicht. Leute, irgendwelche gesichtslosen Leute. Keine Zeit zum Ausruhen. Marschieren oder sterben.
Das Medizinerduo verließ ihn. Von der unklaren Angst angetrieben, versuchte er es mit isometrischen Übungen in seinem Bett.
Lediglich seinen rechten Arm konnte er bewegten. Seine heftigen Bewegungen wurden von den Sensoren auf die Monitore übertragen und riefen den jungen Mediziner herbei. Er gab ihm ein Beruhigungsmittel. Als die Dunkelheit ihn wieder umfing, hätte er am liebsten gebrüllt. Danach hatte er sehr schlechte Träume. Jeglicher Inhalt wäre seinem verwirrten Gehirn willkommen gewesen, aber als er erwachte, konnte er sich nur noch daran erinneren, daß er schlecht geträumt hatte.
Nach einer unbestimmten Zeit kam die Ärztin wieder, um ihn zu füttern.
Sie drückte auf einen Knopf, damit sich der Kopfteil seines Bettes hob, und sagte im Plauderton: »Jetzt probieren wir Ihren neuen Magen aus, mein Freund.«
Freund? War er das? Er brauchte einen Freund, keine Frage.
»Sechzig Milliliter Glukoselösung – Zuckerwasser.
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Die erste Mahlzeit Ihres Lebens, sozusagen. Ich überlege gerade, ob Sie über genügend grundlegende Muskelbeherrschung verfügen, um schon an einem Strohhalm saugen zu können?«
Er saugte, sobald sie ein paar Tropfen der Flüssigkeit auf seine Lippen träufelte, um ihn anzuregen. Saugen und schlucken, noch reduzierter konnte man gar nicht werden. Nur konnte er nicht alles trinken.
»Ist schon in Ordnung«, plätscherte sie weiter. »Ihr Magen ist noch nicht ganz ausgewachsen, wissen Sie. Alle Ihre Ersatzorgane sind ein bißchen zu klein für Ihren Körper, was bedeutet, daß sie sehr hart arbeiten werden und nicht so schnell wachsen werden wie im Brutkasten. Sie werden noch eine ganze Weile kurzatmig sein.
Doch so war es insgesamt leichter, sie zu implantieren. So hatte ich mehr Bewegungsfreiheit, und das habe ich zu schätzen gewußt.«
Er war sich nicht ganz sicher, ob sie zu ihm sprach oder einfach zu sich selbst, so wie vielleicht ein einsamer Mensch mit einem Schoßtier redet. Sie nahm die Tasse weg und kam mit einem Waschbecken, Schwämmen und Handtüchern wieder und begann ihn zu waschen, einen Körperbereich nach dem anderen. Warum machte
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