Vorkosigan 11 Spiegeltanz
eine Chirurgin die Arbeit einer Krankenschwester? DR. R.
DURONA lautete der Name auf der Brusttasche ihres grünen Kittels.
Aber sie schien gleichzeitig eine neurophysiologische Untersuchung durchzuführen. Überprüfte sie ihre Arbeit?
»Sie waren für mich ein geheimnisvoller Fall, wissen Sie. Ich bekam Sie in einer Kiste geliefert. Raven sagte, Sie seien zu klein, um ein Soldat zu sein, aber ich habe genügend Tarnuniformstoff und Nervendisruptor-Abschirmnetz aus ihnen herausgeklaubt, dazu noch die sechsundvierzig Granatsplitter, um ganz sicher zu sein, daß Sie nicht bloß ein unbeteiligter Zuschauer waren. Wer immer Sie waren, diese Nadelgranate trug Ihren Namen. Un456
glücklicherweise nicht in Buchstaben.« Sie seufzte, halb für sich selbst. »Wer sind Sie?«
Sie wartete nicht auf eine Antwort, was ihm auch recht war. Die Anstrengung, das Zuckerwasser zu schlucken, hatte ihn wieder erschöpft. Eine ebenso wesentliche Frage war, wo war er, und er war eingeschnappt, weil sie, die es sicher wissen mußte, nicht daran dachte, es ihm zu sagen. Das Zimmer war ein fensterloser, anonymer Raum in einer hochtechnisierten medizinischen Einrichtung. Auf einem Planeten, nicht auf einem Schiff.
Woher weiß ich das? Das verschwommene Bild eines Schiffes in seinem Kopf schien auf eine Berührung hin in tausend Splitter zu zerfallen. Welches Schiff? Und in diesem Zusammenhang: Auf welchem Planeten?
Es müßte eigentlich ein Fenster geben. Ein großes Fenster, das die hohe dunstige Silhouette einer Stadt einrahmte, durch die ein schneller Fluß strömte. Und es müßten Leute dasein. Es fehlten Leute, die von Rechts wegen dasein müßten, wenn er sie sich auch nicht vorstellen konnte. Bei der Mischung aus allgemeiner medizinischer Vertrautheit und besonderer Fremdheit krampften sich seine Eingeweide zusammen.
Die Reinigungstücher waren eisig und kratzten, aber er war froh, von dem Kleister befreit zu werden, ganz zu schweigen von all dem widerlichen Dreck, der daran klebte. Er kam sich wie eine Eidechse vor, die sich häutete. Als die Ärztin fertig war, waren all die toten weißen Flocken verschwunden. Die neue Haut sah sehr roh aus.
Sie rieb ihm Enthaarungscreme ins Gesicht, was überflüssig erschien und höllisch stach. Er kam zu dem Schluß, daß ihm das Stechen gefiel. Er begann sich zu entspannen und ihre Zuwendung zu genießen, auch wenn sie peinlich intim waren. Sie gab ihm 457
wenigstens die Würde eines sauberen Menschen zurück, und sie kam ihm nicht wie ein Feind vor. Eher wie eine Art Verbündete, wenigstens auf der körperlichen Ebene. Sie reinigte sein Gesicht von der Creme, den Barthaaren und einer ziemlichen Menge Haut.
Dann kämmte sie sein Haar, das allerdings leider, wie seine Haut, in beunruhigenden Büscheln auszufallen schien.
»Das war's«, sagte sie. Es klang befriedigt. Sie hielt einen großen Handspiegel vor sein Gesicht. »Sehen Sie jemanden, der Ihnen bekannt vorkommt?« Sie beobachtete ihn aufmerksam, wie er erkannte, und bemerkte, wie seine Augen sich fokussierten und auf das Spiegelbild einstellten.
Das bin ich? Nun … ich nehme an, ich kann mich daran gewöhnen. Rote Haut dehnte sich über die Schädelknochen. Eine vorspringende Nase, ein spitzes Kinn … die grauen Augen sahen auf bizarre Weise aus, als hätte er einen Kater, die Augäpfel waren scharlachrot. In seinen dunklen Haaren waren schüttere Stellen, wie bei einem schlimmen Fall von Räude. Er hatte wirklich gehofft, er würde viel besser aussehen.
Er versuchte zu sprechen, zu fragen. Sein Mund bewegte sich, aber – wie seine Gedanken – zu zusammenhanglos. Er prustete Luft und Speichel hervor. Er konnte nicht einmal fluchen, was in ihm den Wunsch nach einem Fluch noch verstärkte, und daraus wurde ein gurgelndes Knurren. Sie nahm schnell den Spiegel weg und schaute ihn besorgt an.
Halt! Wenn er weiter herumzappelte, dann würden sie ihm
wahrscheinlich eine weitere Dosis des Beruhigungsmittels verpassen, und das wollte er keineswegs. Er legte sich zurück und keuchte hilflos. Sie senkte das Bett wieder, dämpfte das Licht und schickte sich an hinauszugehen. Ihm gelang ein Stöhnen. Es funktionierte: sie kam zurück.
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»Lilly hat Ihre Kryokammer Pandoras Büchse genannt«, murmelte sie nachdenklich. »Aber ich habe sie für den Kristallsarg eines verzauberten Ritters gehalten. Ich wünschte mir, es wäre so leicht gewesen, daß man Sie einfach mit einem Kuß hätte wecken können.«
Sie beugte sich über ihn.
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