Vorkosigan 11 Spiegeltanz
offenbaren sich dir schon, in ihrem Reden und auf andere Art, wenn du ruhig und geduldig bist und sie läßt, und nicht in einem verdammten Anfall, dich ihnen zu offenbaren, blind und taub wie eine Fledermaus losgehst. Oder?«
»Ich glaube schon, Sir«, sagte Mark verwirrt.
»Uff.« Der Graf war ganz außer Atem. »Du wirst es sehen«, schnaufte er. Die Gräfin musterte ihn prüfend, schwang sich vom Bett und richtete sich auf.
»Ja«, sagte Mark und nickte kurz. »Adieu.« Sein Wort hing in der Luft. Es war ungenügend. Herzprobleme sind nicht ansteckend, 483
verdammt noch mal. Wovor hast du Angst? Er schluckte und trat vorsichtig näher an den Grafen heran. Er hatte diesen Mann nie angerührt, außer bei dem einen Mal, als er versucht hatte zu helfen, ihn auf das Schwebe-Bike zu laden. Ängstlich und doch ermutigt streckte er die Hand aus.
Der Graf faßte sie mit einem kurzen, starken Griff. Seine Hand war groß und kräftig und grobfingrig, eine Hand, die geeignet war für Schaufeln und Spitzhacken, für Schwerter und Kanonen. Im Vergleich dazu erschien Marks eigene Hand klein und kindlich, dick und bleich. Sie hatten nichts gemeinsam als den Griff.
»Verwirrung dem Feind, mein Junge«, flüsterte der Graf.
»Eine Kehrtwendung ist Fair play, Sir.«
Sein Vater lachte schnaubend.
An diesem Abend, vor seiner letzten Nacht auf Barrayar, machte Mark einen letzten Vid-Anruf. Er schlich sich davon, um die Konsole in Miles' Zimmer zu benutzen, nicht eigentlich geheim, sondern privat. Zehn Minuten starrte er auf den stummen Apparat, bevor er krampfhaft den Code eintippte, den er bekommen hatte.
Als das Summen aufhörte, erschien über der Vid-Scheibe das Bild einer blonden Frau mittleren Alters. Das Nachglühen einer eindrucksvollen Schönheit machte ihr Gesicht stark und selbstbewußt. Ihre Augen waren blau und blitzten humorvoll. »Hier bei Kommodore Koudelka«, sagte sie formell.
Das ist ihre Mutter. Mark würgte seine Panik hinunter und sagte mit zittriger Stimme: »Dürfte ich bitte mit Kareen Koudelka sprechen – Madame?«
Eine der blonden Augenbrauen zuckte. »Ich glaube, ich weiß, wer Sie sind, aber – wen darf ich melden?«
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»Lord Mark Vorkosigan«, brachte er hervor.
»Einen Augenblick bitte, Mylord.« Sie verließ die Reichweite der Vid-Kamera. Er konnte ihre Stimme aus der Ferne hören, wie sie rief: »Kareen!«
Im Hintergrund gab es ein gedämpftes Gepolter, ein Stimmengewirr, einen Aufschrei, und dann rief Kareen mit einem Lachen:
»Nein, Delia, das ist für mich! Mutter, schick sie weg! Für mich, nur für mich! Hinaus!« Dann hörte man, wie eine Tür zuschlug und dabei vermutlich jemanden traf, dieser Jemand schrie, und dann wurde die Tür noch einmal zugeknallt, fester und endgültiger.
Keuchend und zerzaust erschien Kareen Koudelka im Bereich der Vid-Kamera und schaute ihm mit leuchtenden Augen entgegen.
»Hallo!«
Es war nicht ganz der Blick, den Lady Cassia Ivan zugeworfen hatte, sondern sozusagen ein robuster und blauer naher Verwandter. Mark kam es vor, als würde er ohnmächtig. »Hallo«, sagte er atemlos. »Ich rufe an, um adieu zu sagen.« Nein, verdammt, das war viel zu kurz …
»Was?«
»Hm, entschuldigen Sie, so habe ich es nicht gemeint. Aber ich werde bald den Planeten verlassen, und ich wollte nicht abreisen, ohne noch einmal mit Ihnen zu sprechen.«
»Oh.« Ihr Lächeln wurde matt. »Wann kommen Sie zurück?«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber wenn ich zurückkomme, würde ich Sie gerne wiedersehen.«
»Nun … sicher.«
Sicher, sagte sie. Wie viele freudige Vermutungen dieses sicher erlaubte.
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Ihre Augen verengten sich. »Stimmt etwas nicht, Lord Mark?«
»Nein«, sagte er hastig. »Hm … war das Ihre Schwester, die da gerade im Hintergrund zu hören war?«
»Ja. Ich mußte sie aussperren, sonst würde sie hier stehen, au
ßerhalb des Kamerabereichs, und mir Gesichter schneiden, während wir uns unterhalten.« Ihre ernste Pose der potentiell Belästigten wurde sofort zur Posse, als sie hinzufügte: »Das mache ich nämlich mit ihr, wenn ihre Kerle anrufen.«
Er war also ein Kerl. Wie… wie normal. Er führte sie weiter mit einer Frage nach der anderen, so daß sie redete: über ihre Schwestern, ihre Eltern und ihr Leben. Privatschulen und zärtlich geliebte Kinder … Die Familie des Kommodore war wohlhabend, aber von einer Art Arbeitsethik a la Barrayar geprägt, mit einer Leidenschaft für Bildung und Leistung und mit einem Ideal des Dienens,
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