Vorkosigan 11 Spiegeltanz
Schnell-Penta zu verpassen, egal, was mit seinem Blutdruck wurde. Das Zeug hatte fast funktioniert. Vielleicht sollte man es noch einmal versuchen …
Die Tür zischte. »Hallo?« Die Lichter gingen an. Rowan stand im Eingang. »Geht es dir gut?«
»Kopfweh. Vom Lesen.«
»Du solltest nicht versuchen, so …«
Schnell voranzukommen, ergänzte er stumm. Das war in den letzten paar Tagen Rowans ständiger Kehrreim, seit seinem Gespräch mit Lilly. Aber diesmal biß sie sich auf die Zunge. Er richtete sich auf, sie kam und setzte sich neben ihn. »Lilly möchte, daß ich dich nach oben bringe.«
»In Ordnung …« Er schickte sich an aufzustehen, aber sie hielt ihn zurück.
Sie küßte ihn. Es war ein langer, langer Kuß, der ihn zuerst erfreute und dann beunruhigte. Er wich zurück und fragte: »Rowan, was ist los?«
»… ich glaube, ich liebe dich.«
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»Oh. Ist das ein Problem?«
»Nur für mich.« Sie zwang sich zu einem kurzen, unglücklichen Lächeln. »Ich werde schon damit fertig.«
Er nahm ihre Hände und fuhr die Sehnen und Adern entlang. Sie hatte brillante Hände. Er wußte nicht, was er sagen sollte.
Sie zog ihn auf die Füße. »Komm!« Bis zum Eingang des Liftrohrs zum Penthouse hielten sie sich an den Händen. Nachdem sie ihre Hand gelöst hatte, um das Handflächenschloß zu drücken, nahm sie seine Hand nicht mehr. Zusammen fuhren sie nach oben und gingen am verchromten Geländer vorbei in Lillys Wohnzimmer.
Lilly saß aufrecht und formell in ihrem breiten, gepolsterten Sessel. Ihr weißes Haar war heute zu einem einzigen dicken Seil geflochten, das sich über ihre Schulter in ihren Schoß hinabschlängelte. Sie wurde von Hawk begleitet, der schweigend rechts hinter ihr stand. Kein Diener. Ein Wächter. Drei Fremde in grauen quasimilitärischen Uniformen mit weißer Paspelierung waren vor ihr aufgereiht. Zwei Frauen saßen, ein Mann stand. Eine der Frauen hatte schwarze Locken und braune Augen, die sich ihm mit einem sengenden Blick zuwandten. Die andere, ältere Frau hatte kurzes hellbraunes Haar mit wenigen grauen Fäden. Aber ihn fesselte der Anblick des Mannes.
Mein Gott. Das ist das andere Ich.
Oder … Nicht-Ich. Sie standen sich Auge in Auge gegenüber.
Dieser Kerl war fast schmerzlich ordentlich, die Stiefel sauber, die Uniform gebügelt und formell. Seine bloße Erscheinung war ein Salut für Lilly. Abzeichen glitzerten an seinem Kragen. Admiral …
Naismith? NAISMITH lautete der Name, der über der linken Brusttasche seiner Offiziersjacke aufgenäht war. Ein heftiger Atemzug, ein elektrisches Klicken der Augen und ein halb unter544
drücktes Lächeln ließen das Gesicht des kleinen Mannes wunderbar lebendig erscheinen. Doch wenn er selbst nur ein knochiger Schatten seiner selbst war, so war dieser Mann doppelt so umfangreich. Untersetzt, rechteckig, kräftig und konzentriert, mit schweren Kinnbacken und einem beträchtlichen Bauch. Er sah aus wie ein höherer Offizier; die Körpermasse ausbalanciert, auf kräftigen Beinen, die in einer aggressiven Stellung gespreizt waren, wie bei einer übergewichtigen Bulldogge. Das war also Naismith, der berühmte Retter, den sich Lilly so wünschte. Es erschien ihm glaubhaft.
In seine höchste Faszination über seinen Klonzwilling drang eine wachsende schreckliche Erkenntnis. Ich bin der Falsche. Lilly hatte ein Vermögen dafür ausgegeben, den falschen Klon wiederzubeleben. Wie ärgerlich würde sie werden? Einer jacksonischen Führerin mußte ein solcher schlimmer Fehler vorkommen, als hätte sie einen Coup gegen sich selbst gelandet. In der Tat, Lillys Gesicht war starr und streng, während sie Rowan anschaute.
»Er ist es, ganz richtig«, hauchte die Frau mit den brennenden Augen. Sie hielt ihre Hände im Schoß zu Fäusten geballt.
»Kenne ich … Sie, Madame?«, sagte er höflich und vorsichtig.
Ihre fackelgleiche Hitze beunruhigte ihn. Halbbewußt rückte er näher an Rowan heran.
Ihr Gesicht war wie aus Marmor. Nur eine leichte Weitung ihrer Augen, wie bei einer Frau, der man mit einem Laserstrahl sauber den Solarplexus durchbohrte, verriet eine Tiefe von … welchem Gefühl? Liebe, Haß? Spannung … Seine Kopfschmerzen wurden schlimmer.
»Wie Sie sehen«, sagte Lilly. »Lebendig und wohlbehalten.
Kehren wir zur Diskussion des Preises zurück.« Der runde Tisch 545
war voller Tassen und Kuchenkrümel – wie lang hatte diese Konferenz schon gedauert?
»Was immer Sie wollen«, sagte Admiral Naismith schweratmig.
»Wir
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