Vorkosigan 11 Spiegeltanz
selbst folterte, damit er zur dunklen Belohnung gelangte. Und dann würde er die Droge absetzen und Mark, der inzwischen für die Szenarios konditioniert war, weitermachen lassen. Und Mark würde weitermachen. Und dann würde Ryoval ihm die Freiheit anbieten. Und er würde weinen und betteln, bleiben zu dürfen, und darum flehen, ein Sklave bleiben zu dürfen.
Vernichtung durch Verführung. Endspiel. Rache komplett.
Sie durchschauen mich, Ryoval, aber ich durchschaue Sie. Ich durchschaue Sie.
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Es stellte sich heraus, daß die Zwangsernährung alle drei Stunden stattfand. Das war die einzige Uhr, die er hatte, sonst hätte er denken müssen, die Zeit sei stehengeblieben. Er war gewiß in die Ewigkeit eingetreten.
Er hatte immer gedacht, bei lebendigem Leibe gehäutet zu werden sei etwas, das mit scharfen Messern gemacht würde. Oder mit stumpfen. Ryovals Techniker machten es chemisch, indem sie sorgfältig ausgewählte Bereiche seines Körpers mit Aerosol besprühten. Sie trugen Handschuhe, Masken, Schutzkleidung. Er versuchte vergeblich, eine Maske herunterzureißen und einen der Männer miterleben zu lassen, was sie ihm verpaßten. Er verfluchte seine geringe Körpergröße und schrie und beobachtete, wie seine Haut Blasen bildete und sich auflöste. Die Chemikalie war kein Kaustikum, sondern eher ein seltsames Enzym; seine Nerven blieben schrecklich intakt und bloßgelegt. Danach war es eine Qual, etwas zu berühren oder berührt zu werden, besonders der Druck beim Sitzen oder Liegen war peinigend. Er stand in der winzigen Zelle und trat von einem Fuß auf den anderen und berührte stundenlang nichts, bis schließlich seine zitternden Beine nachgaben.
Es geschah alles so schnell. Wo, zum Teufel, waren alle? Wie lang war er schon hier? Einen Tag?
Also, ich habe einen Tag überlebt. Deshalb kann ich noch einen weiteren Tag überleben. Es konnte nicht schlimmer sein. Es konnte nur mehr sein.
Er saß und schwankte hin und her; vor Schmerz hatte er halb den Verstand verloren. Und vor Wut. Besonders vor Wut. Vom Augenblick der ersten Zwangsernährung war es nicht mehr Naismiths 573
Krieg gewesen. Das war jetzt persönlich, zwischen Ryoval und ihm. Aber nicht persönlich genug. Er war nie mit Ryoval allein gewesen. Er war immer zahlenmäßig und was das Gewicht betraf unterlegen gewesen, von einer Fesselung in die andere gereicht.
Admiral Naismith wurde als ein ziemlich gefährliches kleines Arschloch behandelt, selbst jetzt noch. Das würde nicht funktionieren.
Er hätte ihnen alles erzählt, alles über Lord Mark und Miles und den Grafen und die Gräfin und über Barrayar. Und über Kareen.
Aber die Zwangsernährung hatte ihm den Mund gestopft, und die Droge hatte ihm die Sprache genommen, und die anderen Dinge hatten ihn ständig zum Schreien gebracht. Es war alles Ryovals Schuld. Der Mann beobachtete. Aber er hörte nicht zu.
Ich wollte Lord Mark sein. Ich wollte einfach Lord Mark sein.
War das so schlimm? Er wollte immer noch Lord Mark sein. Er hatte es fast erreicht gehabt, hatte es mit seinem Griff gestreift.
Jetzt war es ihm entrissen. Er weinte darum: heiße Tränen, die wie geschmolzenes Blei auf seine Nichthaut fielen. Er spürte, wie Lord Mark von ihm glitt, auseinandergerissen, lebendig begraben. Im Begriff der Auflösung. Ich wollte nur ein Mensch sein. Habe es wieder vermasselt.
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KAPITEL 25
Zum hundertsten Mal ging er in dem Raum im Kreis und klopfte dabei die Wände ab. »Wenn wir herausbringen könnten, welche Wand die Außenwand ist«, sagte er zu Rowan, »könnten wir sie vielleicht irgendwie durchbrechen.«
»Womit? Mit unseren Fingernägeln? Was ist, wenn wir uns drei Stockwerke hoch befinden? Bitte, setz dich hin«, sagte Rowan mit Zähneknirschen. »Du treibst mich zum Wahnsinn!«
»Wir müssen hinaus.«
»Wir müssen warten. Lilly wird uns vermissen. Und dann wird etwas unternommen.«
»Von wem? Und wie?« Er blickte sich wütend in ihrem kleinen Schlafzimmer um. Es war nicht als Gefängniszelle entworfen worden. Es handelte sich nur um ein Gästezimmer mit eigenem Bad. Keine Fenster, was den Schluß nahelegte, daß es sich unter der Erde oder in einem inneren Bereich des Hauses befand. Falls es unter der Erde war, dann nützte ein Durchbruch durch eine Wand nicht viel, doch wenn sie sich in ein anderes Zimmer durchbohren konnten, dann gab es allerhand Möglichkeiten. Es gab eine Tür, und davor standen zwei Wachen, die mit Betäubern bewaffnet waren. Letzte Nacht hatten
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