Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
Hauptquartier der kaiserlichen Streitkräfte am anderen Ende der Stadt, wo Ivan arbeitete, kursierte der Witz, dort servierten Obersten den Kaffee.
Nein: er stand rangmäßig weder über noch unter ihnen, rief sich Miles in Erinnerung. Er stand völlig außerhalb ihrer Rangordnung. Wie sehr sie auch den Umgang mit Generälen und Admirälen gewohnt sein mochten, so war es doch offensichtlich, daß sie zum ersten Mal einem Kaiserlichen Auditor begegneten. Die letzte Untersuchung durch einen Kaiserlichen Auditor hatte der KBS vor fast fünf Jahren über sich ergehen lassen müssen, und damals hatte sie sich der Tradition entsprechend mehr auf finanzielle Dinge bezogen. Damals war Miles auf der Gegenseite davon gestreift worden, da der Auditor sich an bestimmten Aspekten der Söldner-Finanzierung festgebissen hatte. Diese Untersuchung hatte einen gefährlichen politischen Anstrich gehabt, gegen den Illyan ihn abgeschirmt hatte.
Ruibal stellte sein Team vor. Er selbst war der Neurologe. Der nächste – oder vielleicht der erste – der Bedeutung nach war ein Konteradmiral, Dr. Avakli, ein Biocybernetiker. Avakli war von der Medizinergruppe ausgeliehen, die bei allen Sprungschiffpiloten der kaiserlichen Streitkräfte die neuralen Implantate betreute, die einzige Nervenerweiterungstechnik auf Barrayar, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der aufwies, die Illyans eidetischen Chip hervorgebracht hatte. In hübschem Kontrast zu Ruibal war Avakli groß, hager und konzentriert und hatte eine angehende Glatze.
Miles hoffte, daß letzteres eine hohe intellektuelle Temperatur anzeigte. Die beiden anderen Männer waren fachliche Assistenten von Avakli.
»Danke, meine Herren«, sagte Miles, als die Vorstellung abgeschlossen war. Er setzte sich, die anderen ebenfalls, nur Ruibal blieb stehen: er war anscheinend zum Sprecher – oder zum Sündenbock? – bestimmt worden.
»Wo soll ich anfangen, Mylord Auditor?«, fragte Ruibal.
»Hm … wie wär’s mit dem Anfang?« Gehorsam begann Ruibal eine lange Liste neurologischer Tests herunterzurasseln, die er mit Holovids der Daten und Ergebnisse illustrierte.
»Verzeihen Sie«, sagte Miles nach einigen Minuten dieses Sermons. »Ich habe mich nicht richtig ausgedrückt. Sie können alle negativen Daten überspringen. Kommen Sie direkt zu den positiven Ergebnissen.« Es folgte ein kurzes Schweigen, dann sagte Ruibal: »Zusammenfassend gesagt finde ich kein Anzeichen für eine organische neurologische Schädigung. Den gefährlich hohen Grad an physiologischem und psychologischem Stress halte ich eher für eine Auswirkung als für den Grund des biocybernetischen Zusammenbruchs.« »Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?«, fragte Miles Avakli, der nickte, allerdings dabei nachdenklich die Lippen schürzte, um anzudeuten, daß es immer die Möglichkeit eines menschlichen Fehlers gab. Avakli und Ruibal nickten einander zu, und Avakli übernahm Ruibals Platz am Holovid-Projektor.
Avakli besaß einen detaillierten Holovid-Plan der inneren Architektur des Chips, den er jetzt zeigte. Miles war erleichtert. Er hatte ein bißchen befürchtet, man würde ihm mitteilen, der KBS habe in den vergangenen fünfunddreißig Jahren das zu dem Chip gehörige Handbuch verloren, doch man schien über eine Menge Daten zu verfügen. Der Chip selbst war ein immens komplexes Sandwich aus organischen und anorganischen molekularen Schichten, etwa fünf mal sieben Zentimeter groß und einen halben Zentimeter dick, und ruhte in vertikaler Position zwischen den beiden Großhirnlappen von Illyans Gehirn. Die Zahl der neurologischen Verknüpfungen, die davon ausgingen, ließen das Steueraggregat im Kopf eines Sprungpiloten wie ein Kinderspielzeug erscheinen. Die größte Komplexität schien eher in seinem Netz zur Informationswiedergewinnung als in dem auf Proteinen basierenden Datenspeicher zu liegen, allerdings waren beide nicht nur verteufelt verwickelt, sondern auch großenteils kartographisch nicht erfaßt – denn dieses Netz war ein selbstlernendes System gewesen, das sich nach der Installation des Chips in einer höchst nichtlinearen Art und Weise zusammengebaut hatte.
»Ist somit der … Schaden oder die Verschlechterung, die wir beobachten, auf den organischen oder den anorganischen Teil beschränkt? Oder auf beide?«, fragte Miles.
»Auf den organischen«, erwiderte Avakli. »So gut wie sicher.« Avakli gehörte offensichtlich zu jenen Wissenschaftlern, die niemals eine unsichere Wette
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