Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
an die Schläfen. »Wenn ich meinen Chip hätte … und ein bestimmtes Zeitfenster, dann könnte ich jeden wachen Moment vor meinem geistigen Auge ablaufen lassen. Jedes Detail sehen. Es würde Zeit brauchen, aber es wäre möglich. Die Mistkerle absolut festnageln, ganz egal, wie raffiniert sie es mir verpaßt haben … Falls es Sabotage war, dann haben sie die Beweise gegen sich ganz sauber vernichtet.« Er schnaubte unzufrieden.
»Mm.« Enttäuscht, aber nicht überrascht lehnte Miles sich zurück. Er goß sich eine halbe Tasse Tee ein und beschloß, das letzte Pfirsichtörtchen nicht in Angriff zu nehmen, das einsam und verlassen auf dem mit Krümeln übersäten Zierdeckchen umgekippt lag. Er spürte, wenn er weiter in Illyan dränge, würde er ihn ernstlich aufwühlen. Hier war einstweilen das Ende der Fahnenstange erreicht, und es war an der Zeit, das Thema zu wechseln.
»Also, Tante Alys, wie kommen eigentlich die Vorbereitungen für Gregors Verlobungszeremonie voran?« »Oh«, sie warf ihm einen dankbaren Blick für das Stichwort zu, »alles in allem recht gut.« »Wer ist für die Sicherheit verantwortlich?«, fragte Illyan.
»Versucht Haroche das selbst zu deichseln?« »Nein, er hat es an Oberst Lord Vortala den Jüngeren delegiert.« »Ah, eine gute Wahl.« Illyan entspannte sich wieder und fingerte an seiner leeren Tasse herum.
»Ja«, bemerkte Alys. »Vortala weiß, wie man etwas organisiert.
Die offizielle Bekanntgabe und Zeremonie wird natürlich in der Residenz stattfinden – ich habe versucht, Laisa mit den Kompli ziertheiten der traditionellen barrayaranischen Kleidung zu helfen; allerdings erörtern wir auch, ob nicht komarranische Mode für die Verlobung angemessen wäre. Für die Hochzeit selbst wird natürlich barrayaranische Kleidung erforderlich sein …« Sie begann einen längeren Vortrag über – so nannte es Miles in Gedanken – die gesellschaftstechnischen Aspekte ihrer Aufgabe; das Thema war beruhigend und angenehm, und sowohl Miles als auch Illyan hielten sie eine Weile mit Suggestivfragen in Fahrt.
Nachdem Martin den Tisch abgeräumt hatte, schlug Miles ein Kartenspiel vor, um die Zeit zu vertreiben. Natürlich ging es nicht darum, die Zeit totzuschlagen, sondern um einen privaten Test von Illyans neuralen Funktionen, was Illyan keineswegs entging.
Doch der willigte ein.
Sterntarock war ein mittelschweres Spiel und verlangte in gewissem Maß, daß man – um dem Glück ein Schnippchen zu schlagen – verfolgte, welche Karten ausgespielt worden waren, welche die Gegner hielten und welche wahrscheinlich herauskommen würden. Miles hatte in seinem ganzen Leben noch nicht erlebt, daß bei einer längeren Spielserie jemand gegen Illyan gewonnen hatte, es sei denn, der Betreffende hätte mit einer gezogenen Karte überwältigend Glück gehabt. Nach sechs Runden hatten Miles und Lady Alys die Punkte unter sich aufgeteilt, und Illyan schützte Müdigkeit vor. Miles gab sofort nach. Illyan sah erschöpft aus, sein Gesicht war abgespannt und unruhig, doch Miles glaubte nicht, daß dies der wahre Grund für sein Aufgeben war.
Ruibal hatte nicht übertrieben. Illyans Kurzzeitgedächtnis und sein Blick fürs Detail waren praktisch nicht mehr vorhanden. In einem beiläufigen Gespräch, wo eine Bemerkung in fließendem Übergang die nächste auslöste, schien er sich zu behaupten, aber … »Was denken Sie über den Mann, den Haroche für die Sicherheit von Gregors Hochzeit ernannt hat?«, fragte Miles beiläufig.
»Wen hat er denn ernannt?«, fragte Illyan.
»Wen würden Sie an erster Stelle nehmen?« »Oberst Vortala vermutlich. Er kennt die Szene in der Hauptstadt wie kein zweiter meiner Männer.« »Aha«, sagte Miles. Alys, die sich gerade erhob, um sich zu verabschieden, zuckte zusammen. Illyan runzelte plötzlich die Stirn und kniff die Augen zusammen, aber er sagte nichts weiter.
Etwas trotzig winkte er Miles, er solle sich wieder setzen, und geleitete Lady Alys höflich und vornehm zu ihrem Wagen.
Miles stand auf und streckte sich. Er war müder, als sein Tagewerk rechtfertigen konnte. Das wird seltsam werden.
Die neue, wenn auch ziemlich ruhige Alltagsroutine von Palais Vorkosigan spielte sich schnell ein. Miles und Illyan standen auf, wann sie wollten, und sie begegneten sich – oder auch nicht – morgens in der Küche, wo sie sich ein Frühstück schnorrten; allerdings trafen sie sich förmlicher zu den von Mama Kosti zubereiteten Mittags-und Abendmahlzeiten. Miles
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