Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
Sie.
Aber angenommen, Miles konnte im voraus wissen, daß Haroche es ehrlich mit ihm meinte. Es war doch möglich. Angenommen, das Angebot war nur und genau das gewesen, was es zu sein schien, kein Messer in den Rücken zu einem späteren Zeitpunkt?
Welche Antwort sollte er dann geben? Welche Antwort nur?
Haroche hatte Admiral Naismith ausgelotet, komplett, vorwärts und rückwärts. Naismith würde Ja! schreien und versuchen, sich später aus dem Handel herauszuwinden. Aber Haroche kannte Lord Vorkosigan nicht. Wie könnte er auch? Praktisch niemand kannte ihn, nicht einmal Miles.
Ich bin diesem Mann selbst eben erst begegnet. Er hatte einen Jungen dieses Namens gekannt, vor langer Zeit, der verwirrt und leidenschaftlich und verrückt nach dem Militär gewesen war.
Zweckmäßigerweise hatte Admiral Naismith diesen Jungen hinter sich zurückgelassen, als er auf seine größere Identität, seine weitere Welt zuschritt. Doch dieser neue Lord Vorkosigan war jemand völlig anderer, und Miles wagte es kaum, Vermutungen über seine Zukunft anzustellen.
Miles wurde plötzlich müde, überdrüssig des Lärms in seinem Kopf. Haroche, der Puppenspieler, ließ ihn im Kreis laufen und versuchen, sich in den Rücken zu beißen.
Was, wenn er Haroches schwindelerregendes Spiel nicht mitspielte? Was, wenn er einfach … stehenblieb? Welches andere Spiel gab es da noch?
Wer bist du, alter Junge?
… Wer bist du, der diese Frage stellt?
Auf diesen Gedanken hin überfiel ihn ein verflixtes Schweigen, eine leere Klarheit. Er hielt sie zuerst für reine Trostlosigkeit, aber Trostlosigkeit war eine Art freier Fall, ewig und ohne Boden unter den Füßen. Dies war reglose Stille: im Gleichgewicht, stabil, seltsam ruhig. Überhaupt keine Bewegung, weder vorwärts noch rückwärts oder nach der Seite.
Ich bin der, der zu sein ich mich entscheide. Ich bin immer gewesen, wozu ich mich entschieden habe … wenn auch nicht immer, was mir gefiel.
Wenn du dich für eine Handlung entscheidest, hatte seine Mutter oft gesagt, dann entscheidest du dich auch für die Konsequenzen dieser Handlung. Sie hatte die logische Folge aus diesem Axiom sogar noch heftiger betont: wenn du dir eine bestimmte Konsequenz wünschst, dann solltest du, verdammt noch mal, lieber die Handlung wählen, die sie hervorbringt.
Miles lag aller Spannung entleert da, bewegte sich nicht und war mit diesem Zustand zufrieden. Der seltsam gedehnte Augenblick war wie ein Bissen Ewigkeit, den er im Laufen gegessen hatte. War dieser ruhige Ort in seinem Innern neu entstanden, oder war er einfach noch nie darauf gestoßen? Wie konnte etwas so Großes so lange unentdeckt bleiben? Seine Atmung wurde langsamer und tiefer.
Ich entscheide mich dafür … ich selbst zu sein.
Haroche schrumpfte zu einer winzigen Gestalt in der Ferne.
Miles war sich nicht bewußt gewesen, daß er seinen Gegner so schrumpfen lassen konnte, und es verwunderte ihn.
Aber meine Zukunft wird kurz sein, wenn ich nichts unternehme.
… Wirklich? Eigentlich hatte Haroche bis jetzt niemanden umgebracht. Und der Tod eines Kaiserlichen Auditors mitten in einem nichtabgeschlossenen Fall würde den wildesten Verdacht auslösen; auf Miles’ leerem Platz würde wie eine Hydra wenigstens ein halbes Dutzend anderer Auditoren aufstehen, routiniert, verärgert und immun gegen diese Art von Spielchen. Haroche konnte unmöglich alle unter seine Kontrolle bringen.
Es war Galenis Leben, das keinen Pfifferling mehr wert war.
Was entsprach der Tradition mehr, als daß ein entehrter Offizier in seiner Zelle Selbstmord beging? So würde ein Vor handeln.
Es würde als ein Schuldgeständnis ausgelegt, als eine Geste der Sühne gewertet werden. Fall abgeschlossen, o ja.
Es würde zweifellos ein sehr gut inszenierter Selbstmord sein; Haroche hatte eine Menge praktischer Erfahrung in solchen Dingen und würde keine amateurhaften Fehler begehen. Sobald Haroche wußte, daß Miles es wußte, würde es einen Wettlauf mit der Zeit geben. Und alles, worüber Miles verfügte, war eine Spur aus Spiegelungen und Rauch.
Rauch!
Luftfilter.
Miles’ Augen weiteten sich.
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KAPITEL26
Eine knappe Stunde vor Dienstschluß – zumindest für die dort Beschäftigten, die das Glück hatten, in der Tagschicht zu arbeiten – ließ Miles seine kleine Truppe am Seiteneingang im Hauptquartier des KBS aufmarschieren. Was folgen sollte, nannte er bei sich den Sturm auf die Küchenschaben-Zentrale.
Endlich einmal war er dankbar für die
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