Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
Und sieben von zehn Komarranern würden auf die eine oder andere Weise sterben.« Miles zuckte interessiert mit einer Augenbraue; er hielt ihre Darstellung für übertrieben, wenn das auch offensichtlich ihre ehrliche Meinung war. »Tja, wir sollten nicht die Parade aufhalten. Gehen wir hinein?« Er und Galeni postierten sich neben ihren Damen, und Miles führte sie durch die nahe Doppeltür. Der Gläserne Saal war ein langer Empfangssalon, den auf der einen Seite hohe Fenster, auf der anderen hohe antike Spiegel säumten, daher der Name, den sich der Saal erworben hatte, als Glas noch viel schwerer zu bekommen war.
Gregor, der an diesem Abend eher den Gastgeber als den Lehnsherrn spielte, stand nahe der Tür in der Gesellschaft einiger hoher Regierungsvertreter, die man für diesen Anlaß herbeizitiert hatte, und begrüßte seine Gäste. Der Kaiser von Barrayar war ein hagerer, fast schmächtiger Mann Mitte dreißig, mit schwarzem Haar und dunklen Augen. An diesem Abend trug er gutgeschnittene Zivilkleidung im konservativsten förmlichen barrayaranischen Stil mit einer Andeutung der Farben des Hauses Vorbarra im Besatz und in der seitlichen Paspelierung der Hosen. Gregor war außergewöhnlich still, wenn er es sein durfte. Natürlich jetzt nicht, wo er sich in der Gesellschaft bewegte, eine Pflicht, die er nicht mochte, jedoch wie alle seine Pflichten trotzdem gut erfüllte.
»Ist er das?«, flüsterte Laisa Miles zu, während sie darauf warteten, daß die Gruppe vor ihnen ihre Artigkeiten absolvierte und sich weiterbewegte. »Ich dachte, er würde diese phantastische Militäruniform tragen, in der man ihn immer in den Vids sieht.« »Oh, die rotblaue Paradeuniform? Die legt er nur zur Mittsommerparade, zu seinem Geburtstag und zum Winterfest an.
Sein Großvater, Kaiser Ezar, war ein echter General, bevor er Kaiser wurde, und trug Uniformen wie eine zweite Haut, doch Gregor sieht sich nicht so, trotz seines Titels als Oberbefehlshaber der Kaiserlichen Streitkräfte. Deshalb bevorzugt er die Uniform des Hauses Vorbarra oder so etwas wie heute, wann immer die Etikette es gestattet. Wir alle wissen diese Vorliebe sehr zu schätzen, denn sie erspart es uns, das verdammte Ding zu tragen.
Der Kragen würgt einen, der Säbel kommt einem in die Quere und mit den Stiefelquasten bleibt man immer irgendwo hängen.« Nicht, daß der Kragen der grünen Ausgehuniform viel niedriger war, und von den Quasten abgesehen waren die hohen Stiefel ähnlich, aber bei seiner Größe war für Miles der Säbel eine besondere Plage.
»Ich verstehe«, sagte Laisa. Ihre Augen funkelten amüsiert.
»Ah, wir sind dran.« Miles bugsierte seine Gruppe vorwärts.
Delia kannte Gregor schon seit ihrer Kindheit. Nach einem kurzen Austausch und einem begrüßenden Lächeln trat sie zurück, um den Neuankömmlingen eine Chance zu geben.
»Hauptmann Galeni, ich habe schon von Ihnen gehört«, sagte Gregor ernst, als Miles ihm den auf Komarr geborenen Offizier vorstellte. Für einen Sekundenbruchteil schaute Galeni drein, als wäre er sich nicht sicher, wie er diese beunruhigende Information bewerten sollte, und Gregor fügte schnell hinzu: »Nur Gutes!« Gregor wandte sich Laisa zu, und sein Blick blieb einen Moment lang an ihr hängen. Er faßte sich schnell und verbeugte sich leicht über ihre Hand, murmelte etwas Höfliches und Hoffnungsvolles über Komarr als willkommenen Teil der Zukunft des Kaiserreiches.
Als die Formalitäten erledigt waren, machte sich Delia unter den festlich gekleideten Gästen, die sich in kleinen Gruppen im Raum verteilt hatten, auf die Suche nach Ivan und ihrer Schwester. Der Saal war auch nicht annähernd so voll wie beim Geburtstag des Kaisers oder beim Winterfest. Laisa warf einen Blick über die Schulter zurück auf Gregor. »Du lieber Himmel, mir ist es fast so vorgekommen, als entschuldigte er sich dafür, daß Barrayar uns erobert hat.« »Na ja, eigentlich nicht«, erwiderte Miles. »Wir hatten keine große Wahl, nachdem die Cetagandaner auf dem Weg über Komarr bei uns eingedrungen waren. Er hat lediglich sein Bedauern für persönliche Unannehmlichkeiten ausgedrückt, die die Eroberung verursacht haben mag, und die sich, wenn man alles in Betracht zieht, jetzt fünfunddreißig Jahre später allmählich zu verlieren scheinen. Ein Reich, das aus mehreren Planeten besteht, ist ein heikler Balanceakt. Allerdings ist es den Cetagandanern ge lungen, den ihren jahrhundertelang aufrechtzuerhalten, womit ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher