Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
geschehen?« »Mitten in der Besprechung aller Abteilungen heute nachmittag erlitt Illyan einen völligen Zusammenbruch.« »Heute nachmittag? Sie meinen, General Haroche hat ihn nicht gestern der medizinischen Abteilung des KBS übergeben?« »Was?« Miles schilderte Illyans beunruhigenden Anruf. »Ich habe sofort Haroche unterrichtet. Erzählen Sie mir nicht, der Mann habe nicht getan, was ich ihm gesagt hatte.« »Ich weiß es nicht«, erwiderte Galeni. »Ich kann nur berichten, was ich gesehen habe.« Als ausgebildeter Analytiker, ganz zu schweigen als Historiker, hatte Galeni ein scharfes Gefühl für den Unterschied zwischen der Aussage eines Augenzeugen, Hörensagen und bloßer Spekulation. Man wußte immer, zu welcher Kategorie das gehörte, was er berichtete.
»Aber jetzt ist Illyan in medizinischer Behandlung?«, wollte Miles besorgt wissen.
»O Gott, ja«, seufzte Galeni. »Die Besprechung begann fast wie normal. Die Abteilungsleiter gaben ihre wöchentlichen Resümees und listeten alle kritischen Punkte auf, bei denen sie wünschten, daß die anderen Abteilungen darauf achtgaben. Illyan schien nervös zu sein, rastloser als gewöhnlich, und fingerte an Gegenständen auf dem Tisch herum … er zerbrach eine Datenkarte und murmelte dann eine Entschuldigung. Er stand auf, um seine übliche Aufgabenliste für jedermann zu verteilen, und es kam an den Tag … kein Satz paßte zum anderen. Er war völlig hinter dem Mond. Nicht, als meinte er, es wäre der falsche Tag, sondern als wäre er zwanzig Tage hinter dem Datum zurück, Jeder Satz war grammatikalisch korrekt und doch völlig unverständlich. Und er schien das nicht einmal zu merken, bis er uns alle ansah, die wir ihn mit offenem Mund anstarrten, und stekkenblieb.
Dann stand Haroche auf – ich schwöre Ihnen, es war das Mutigste, was ich bisher erlebt habe. Und er sagte: Sir, ich glaube, Sie sollten sich auf der Stelle in medizinische Behandlung bege ben. Und Illyan schnauzte ihn an, er sei nicht krank und Haroche solle sich, verdammt noch mal, hinsetzen … doch der Blick in seinen Augen wechselte ständig zwischen Wut und Verwirrung.
Er zitterte. Wo ist eigentlich Ihr tapsiger Teenager mit den Drinks?« »Wahrscheinlich ist er wieder falsch abgebogen und hat sich im anderen Flügel verirrt. Er wird sich schließlich noch eingewöhnen. Bitte, fahren Sie fort.« »Ach.« Galeni rieb sich den Hals. »Illyan wollte nicht gehen.
Haroche rief nach einem Arzt. Illyan widersprach ihm und sagte, er könne nicht mitten in einer Krise weggehen, nur handelte es sich bei der Krise, die er meinte, um die Invasion der Cetagandaner in Vervain vor zehn Jahren. Haroche, der inzwischen kreidebleich war, nahm ihn am Arm und versuchte ihn hinauszuführen – das war ein Fehler, denn Illyan fing an, mit ihm zu raufen. Haroche brüllte: Oh, Scheiße, holt einen Arzt und beeilt euch! Das war klug von ihm. Aber Illyan boxt verdammt gemein, wenn er boxt. So etwas habe ich noch nie gesehen.« »Ich auch nicht«, sagte Miles, auf morbide Weise fasziniert.
»Als der Arzt eintraf, bedurften zwei weitere Männer ärztlicher Hilfe. Man sedierte Illyan komplett und stellte ihn in der Klinik im KBS-Hauptquartier ruhig. Und das war das Ende dieser Sitzung. Und wenn ich daran denke, daß ich mich immer beschwert hatte, solche Treffen seien langweilig.« »Ach du lieber Himmel!« Miles preßte die Hände auf die Augen und massierte sich das Gesicht. Das Szenario hätte wohl kaum schlimmer sein können, wenn man es absichtlich eingefädelt hätte, um ein Maximum an Chaos und Erniedrigung zu erzielen. Und eine maximale Anzahl Zeugen.
»Haroche wird heute abend selbstverständlich Überstunden machen«, fuhr Galeni fort. »Das ganze Gebäude befindet sich in heimlicher Erregung. Haroche gab uns allen natürlich den Befehl, mit niemandem darüber zu reden.« »Außer mit mir?« »Aus irgendeinem Grund vergaß er Sie auszunehmen«, sagte Galeni trocken. »Also haben Sie dies alles nicht von mir erfahren.
Sie haben das nicht erfahren, Punkt.« »Ganz recht. Ich verstehe. Ich nehme an, er hat es inzwischen Gregor gemeldet.« »Das hofft man.« »Verdammt, Haroche hätte Illyan schon gestern abend vor Dienstschluß in ärztliche Behandlung übergeben sollen!« »Er sah ziemlich erschrocken aus. Wie wir alle. Den Chef des Kaiserlichen Sicherheitsdienstes mitten in seinem Hauptquartier zu verhaften ist … keine leichte Aufgabe.« »Nein. Nein … vermutlich sollte ich den Mann nicht
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