Vorkosigan 12 Viren des Vergessens

»Rufen Sie Ihren Boss … nein, verdammt, es dauert dreißig Minuten, bis ich mich durch die ganze Befehlskette hochgearbeitet habe. Übergehen wir die Herren in der Mitte, ja?
    Ich störe ihn nicht gerne, wenn er so beschäftigt ist, wie er heute morgen zweifellos ist, aber rufen Sie einfach General Haroche an.« Jarlais widerstrebte es offensichtlich ebenso, seinen Vorgesetzten bei der Arbeit zu stören, aber einen Vor-Lord wegzuschicken war nicht leicht, und es war unmöglich, ihn zu ignorieren. Innerhalb von lediglich zehn Minuten drangen sie bis zu Haroches Komkonsole durch. Unter diesen Umständen eine Leistung, dachte Miles.
    »Guten Morgen, General«, sagte Miles zu Haroches Bild auf der Vid-Scheibe des Korporals. »Ich bin gekommen, um Simon zu besuchen.« »Unmöglich«, knurrte Haroche.
    Miles Stimme wurde scharf. »Unmöglich ist es nur, wenn er tot ist. Ich glaube, Sie wollen sagen, daß Sie es nicht erlauben wollen. Warum nicht?« Haroche zögerte. »Korporal, aktivieren Sie Ihren Schweigekegel und überlassen Sie Ihren Platz an der Komkonsole bitte einen Augenblick Lord Vorkosigan.« Der Mann glitt gehorsam zur Seite; der Sicherheitsgenerator über dem Stuhl vor der Konsole warf einen Schatten auf Miles und Haroches Abbild.
    »Woher haben Sie davon erfahren?«, wollte Haroche mißtrauisch wissen, sobald ihre Geheimhaltung gesichert war.
    Miles zog die Augenbrauen hoch und schaltete ohne die geringste Unterbrechung in einen anderen Gang. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Als Sie mich nach meinem Anruf bei Ihnen von vorgestern nicht zurückriefen und keine meiner anderen Anrufe beantworteten, habe ich schließlich Gregor angerufen.« »Ach so«, erwiderte Haroche. Sein Mißtrauen löste sich in blo ße Irritation auf.
    Das war knapp, erkannte Miles. Falls Haroche Gregor noch keinen Bericht erstattet hatte, dann hätte Miles’ Trick ein beträchtlicher Fehler sein können, der Galeni potentiell sehr schädlich hätte werden können. Lord Vorkosigan sollte lieber sorgfältig unbestimmt über den Zeitpunkt sein, da er angeblich mit dem Kaiser gesprochen habe, bis er es wirklich getan hätte. »Ich möchte Illyan besuchen.« »Illyan wird Sie vielleicht nicht einmal erkennen können«, sagte Haroche nach einer langen Pause. »Er plappert geheimes Material, einen Meter pro Minute. Ich mußte ihm Wachen von höchster Sicherheitsstufe zuteilen.« »Was also noch? Ich verfüge über eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für die höchsten Sicherheitsstufen.« Verdammt, er war geheimes Material.
    »Sicher nicht. Ihre Bescheinigung muß widerrufen worden sein, als Sie … entlassen wurden.« »Überprüfen Sie das mal.« Ach, verdammt, Haroche hatte jetzt zu allen Dateien von Illyan Zugang; er konnte sich die ganze wahre Geschichte von Miles’ Entlassung jederzeit ansehen, wenn er eine freie Minute hatte. Miles hoffte, Haroche hätte am Vortag noch nicht zu viele freie Minuten gehabt, die er solchen Erkundigungen widmen konnte.
    Haroche warf Miles einen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu, dann tippte er an seiner Komkonsole einen Code ein.
    »Ihre Unbedenklichkeitsbescheinigung ist noch gültig«, sagte er leicht überrascht.
    »Da haben Sie’s.« »Illyan muß vergessen haben, sie zu ändern. Ist er schon damals verwirrt gewesen? Nun ja …« Seine Finger tippten weiter.
    »Hiermit widerrufe ich sie jetzt.« Das können Sie nicht tun! Miles verkniff sich den Schrei der Empörung. Haroche konnte das ganz gewiß. Miles starrte ihn frustriert an. Was sollte er also tun? Aus dem Hauptquartier davonstürzen und wütend rufen: Das werden wir ja sehen! Ich werde Sie bei meinem großen Bruder verpetzen! Nein. Gregor war eine Karte, die er nur einmal spielen durfte, und das nur im äußersten Notfall. Er stieß Atem und Wut in einem sorgsam kontrollierten Seufzer aus. »General, Klugheit ist eine Sache, Paranoia, die Freund von Feind nicht unterscheiden kann, ist eine ganz andere.« »Lord Vorkosigan«, erwiderte Haroche ebenso verkniffen.
    »Wir wissen noch nicht, worum es sich hier handelt. Ich habe nicht die Zeit, um heute morgen neugierige Zivilisten müßig zu unterhalten, ganz gleich, ob sie freundlich sind oder nicht. Was immer der Kaiser beschließt, Ihnen mitzuteilen, ist seine Sache.
    Meine einzige Pflicht besteht darin, ihm Bericht zu erstatten. Guten Tag!« Mit einem Prankenhieb brach er die Verbindung ab; der Schweigekegel verschwand, Miles befand sich wieder in der Vorhalle, und der Korporal starrte ihn