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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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legte sich eigene Inhaltsverzeichnisse an, um die wichtigen Stellen besser zu finden. Als er von der Entdeckung des Kryptons las, das zwei Briten schon vor über zwanzig Jahren aus der Luft destilliert hatten, konnte er zwei Nächte lang nicht schlafen. Er studierte die Eigenschaften des Elements, suchte in allen anderen Heften mühsam nach Hinweisen auf seine Fähigkeiten und begann schließlich, auf die ungehobelte Bretterwand in der Scheune Formeln zu schreiben, weil er sich nicht mehr alles merken konnte. Nach zwei Wochen verfasste er einen Brief an jenen geschwollenen Fabrikbesitzer, den er vor Jahren in der Stadt kennengelernt hatte. Auf den Seiten führte er aus, wie eine Kryptonfüllung in den Glühlampen für eine längere und verbesserte Lichtausbeute sorgen könnte. Allein für den Brief brauchte er fast drei Tage, es kam keine Antwort. Ludwig Honigbrod nahm das als Beweis für etwas, das er sich schon gedacht hatte: Es war alles zu wenig und sein Platz hier, weit zwischen den Hügeln und Feldern und nicht in einem der zukünftigen Monatshefte.
    Er war dreißig Jahre alt und hatte nichts als zwei Anzüge und einen Brief von seinem Vater. Am nächsten Tag fragte er die Magd Ella, ob sie ihn zum Mann nehmen wollte. Er hielt das Kind, das sie auf den Namen Max getauft hatten, erzählte ihr von den Aktien, und sie willigte ein. Sie war nur zwei Jahre älter als er. Die Bauersleute gaben ihnen eine größere Kammer, für die Trauung fuhren die Eheleute in die Stadt, Ludwig gab sein altes Elternhaus als Adresse, und danach fuhren sie noch ein paar Tage nach Graal an die See. Abends aßen sie an der Promenade, neben ihnen saß ein Schriftsteller aus Wien, wie ihnen der junge Kellner erzählte. Ludwig beobachtete den lauernden, unruhigen Mann neugierig und in Erinnerung an die Schwierigkeiten, die er mit einem einzigen Brief gehabt hatte. Wie viel schwerer musste ein ganzes Buch sein, und wie einfach machten es einem doch die Maschinen, wo jedes Teil seinen vorbestimmten Sitz hatte.
     
    Im Dorf wurde wieder viel geredet, aber Ludwig war taub vor Glück. Er kaufte eine der neuen Landmaschinen, einen Schlepper, und konstruierte einen ganzen Winter lang die Hebeanlage für die Hofstange, das war sein Hochzeitsgeschenk für Ella. Im nächsten Frühling säten sie Zuckerrüben, als Erste hier. Es war eine schmutzige Sache, und Ella arbeitete wie ein Mann neben ihm. Wenn sie abends in ihr Bett stiegen, waren ihre Muskeln hart, und an den Außenseiten ihrer Hände zogen sich rissige Schwielen, trotzdem bemühte sich Ludwig, noch eine Weile wach zu bleiben und Ella beim Einschlafen zuzusehen, und dann noch beim Schlafen, jeden Abend, bis die Kerze niedergebrannt war. Um diese Zeit wieder aufzuholen, gewöhnte er sich an, vormittags nach der ersten Arbeit noch eine Stunde zu schlafen, es war sein zweiter Schlaf, und er hielt ihn, wo er gerade war, am Feldrand oder im Stall. Wenn er aufwachte, hatte Ella ihm einen Krug Wasser danebengestellt, sie vergaß es kein einziges Mal. Im ersten Herbst verkauften sie drei ganze Güterwagen voll Zuckerrüben an die Fabrik, im zweiten schon fünf, obwohl die Rüben sich selbst nicht vertrugen, wie man sagte, sie mochten niemals zweimal hintereinander auf dem gleichen Feld stehen, und deswegen konnte Ludwig Honigbrod immer nur die Hälfte der kleinen Ackerflächen bebauen. Keiner der Bauern aus dem Dorf ließ sich sehen, als sie ihre Ernte verluden.
     
    Die Alten wurden sehr still. Der kleine Junge war tagsüber bei ihnen in der Stube, abends, wenn er nicht schlafen wollte, trug ihn Ludwig noch ein wenig durch das Haus. Sie hatten nie über den Vater gesprochen, wann immer sie in die Nähe dieser Frage kamen, schnürte es Ella die Luft ein, und Ludwig suchte schnell anderen Boden. Am Ende, sagte er sich, war Max nun so gut als ein eigener Sohn. So ging es ein paar Jahre und bis sie hörten, es würde ein neuer Krieg kommen und die Männer müssten sich melden. Ella weinte, Ludwig ging nicht zum Melden. Eigentlich, dachte er, war er doch gar nicht hier, er war doch eigentlich irgendwo auf dem Weg hierher verlorengegangen. Der Bauer zeigte Ludwig eines Abends einen Erdkeller im Hügel hinter dem verfallenen Pfänderhof, die Tür war schon fast ganz im Hang eingewachsen. In dem kleinen Raum dahinter konnte Ludwig nur halb stehen, es war eine feuchte Höhle, in die nichts von außen drang. Wortlos standen die beiden Männer im Halbdunkel, und jeder wusste, wie der andere fror.
    Beim

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