Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman
rechnete.
Als seine Mutter starb, kam ein Telegramm, aber es traf zwei Tage zu spät in Pildau ein. Die Alte betete mit ihm Rosenkränze, die Magd weinte und gab ihm die Hand. Sie setzten ihn auf die Eisenbahn, die damals noch in dem Dorf hielt, und einen Tag lang fuhr Ludwig ganz in schmutzigen Schlieren zur Beerdigung seiner Mutter, von der er fast ein Jahr lang kein Wort mehr gehört hatte. Der Vater gab ihm auch die Hand und trug einen schwarzen Hut, sonst kannte er niemanden auf dem Friedhof, überhaupt kannte er fast nichts mehr, die Räume standen im falschen Verhältnis zum Licht oder umgekehrt, Straße und die Wohnung waren ihm fremd. Als er im Bett lag, hörte er den Vater laut weinen, und in dieser Nacht nahm er sich ganz bestimmt vor, Arzt zu werden und das Telegrammwesen zu verbessern und die Eisenbahn schneller fahren zu lassen und die Hebeanlagen für Hofstangen so zu bauen, dass niemand mehr seine Hand darin verlieren musste.
Zu Hause war es schwer, aber es war nicht der Krieg, der es schwer machte. Der Vater war Gesellschafter einer Taschenlampenfabrik, die Geschäfte gingen wohl, weil alle Soldaten Taschenlampen bekommen sollten, die nicht größer waren als eine Spielkarte. Aber der Kummer über die Mutter brachte Vater und Sohn auseinander. Ludwig ging an ihr Grab, sah, wie im Frühling zum ersten Mal der Schnee darauf schmolz, legte ihr schöne Blätter und auch mal eine Schleife aufs Haar. Der Vater ging nie ans Grab, und wenn Ludwig nach Hause kam, saß er im Dunkeln. Die Haushälterin, die schon immer bei ihnen war, hatte zwei Söhne, die waren jetzt Soldaten, und sie weinte viel. Ludwig fing an zu husten, der Vater schimpfte nachts an die Wand. Nach einem Monat ging die Frau mit Ludwig zum Arzt, der wollte ihn an die See schicken oder in die Berge. Die See aber war unerreichbar, wegen der Front. Ludwig schlug vor, der Vater und er könnten nach Pildau gehen, im Sommer aber dann ging er doch wieder nur allein.
Der Lehrer freute sich, die Magd auch. Die Bauersleute waren viel faltiger geworden, so kam es Ludwig vor, aber auch milder. Die Alte kam nicht mehr aus ihrem Zimmer, nur manchmal war sie am Fenster, und Ludwig fürchtete sich vor ihr. Abends konnte er mit dem Bauern auf der Bank sitzen und den Libellen zusehen, die wie britische Dreidecker über dem Weiher flogen. Ludwig hatte eine Mappe mit Flugzeugbildern vom Vater bekommen, die er wochenlang studierte. Er erzählte dem Bauer abends, wie er die Merkmale der unterschiedlichen Flugzeugtypen zu einem eigenen Flugzeug nehmen würde, von diesem das Tragwerk, von jenem den Propeller. Er begann dieses neue Flugzeug zu zeichnen, in unterschiedlichen Maßstäben. Beim Zeichnen erzählte ihm der Bauer von den Feldern und wie er sie bewirtschaften würde, wenn er Knechte hätte und vielleicht eine der neuen Maschinen, und der Junge merkte sich alles, auch wenn er mit dem Kopf tief über dem Blatt hing. Zuckerrüben, das wäre eine Sache, und der Boden wäre dafür!
Sie hatten Butter und Eier und Schmalz, viel mehr, als es in der Stadt wohl gab, das sagten alle, die vorbeikamen. Vom Krieg sahen sie nichts, er kam ihm ganz langweilig vor. Würde doch mal eines der Jagdflugzeuge über Pildau fliegen! Sein Husten war besser. Er versaß die Nachmittage auf der Anhöhe und beobachtete die Straße, auf der immer noch nur die Karren der Bauern und selten mal eine Reihe Subventions- LKW durchkamen. Ludwig baute im Schuppen das Modell seines Doppeldeckers mit dünnen Holzlatten und nannte es Schwalbe. Der Bauer lachte, aber er half ihm auch nach dem Stall, noch die Latten zu schneiden. So eifrig baute und verbesserte er, dass er sich ein kleines Lager im Schuppen einrichtete, auf dem er schlief, solange es warm war. Morgens sah er aus dem Spalt der Scheunentür, wie die Magd sich am Brunnen wusch, sie war nicht schüchtern und pustete laut dabei. Es war eine Sache des allerersten Lichts, anders konnte Ludwig es nicht sagen, nichts hatte ihn davor so berührt wie dieses Bild im allerersten Licht. Bevor der Frost kam, bauten sie eine einfache Wasserleitung vom Brunnen ins Haus, und Ludwig konstruierte ein Rohrsystem mit Unterdruck, das auch im Winter funktionieren würde, er verlegte einfach den Kolben der Pumpe ins Haus. Das Wasser ging nun, wenn man ein wenig pumpte, bis in die Küche, und die Magd wusch sich nicht mehr im Hof, seine Leitung war also, dachte Ludwig, eine Fehlentscheidung gewesen.
Er wuchs schnell, die Bäuerin sagte Wiggerl zu
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