Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman
ihm. Dem Vater schrieb er einen Brief, ob er nicht kommen möge, mit seinem Geld, es wäre doch genug Platz hier und er könnte später Flugzeuge konstruieren. Der Vater schrieb ihm einen längeren Brief zurück, den Ludwig Honigbrod immer aufgehoben hat. Danach wusste der vierzehnjährige Junge das Wichtigste, was man über das Leben wissen muss, nämlich dass einer nur so lange lebt, wie er kann. Er war sehr traurig, aber anders als bei der Mama. Es kamen später auch ein dünner Brief mit Stempel und etwas Geld und viele Aktien, von denen er nicht wusste, was sie wert waren. Den Bauern sagte er nichts davon.
Zu Weihnachten bekam er vom Lehrer zwei Bücher geschenkt und die Aussicht auf Privatstunden. Für die Dorfschule war Wiggerl zu alt. Alle zwei Tage ging er nun ins Dorf, der Lehrer wohnte in einem schiefen Haus an der Kirchmauer, in dem ein winziger Ofen stand. Er war politisch und sprach viel von der Revolution, aber das interessierte Ludwig nicht, er dachte viel dringender an ein Ackerflugzeug, das aus der Luft große Flächen besäen könnte und, wer weiß, vielleicht auch pflügen. Der Lehrer gab ihm, was er über Physik wusste, nach zwei Monaten war Ludwig aber schon weit voraus. Er lieh sich nach und nach alle Bücher, und der Lehrer forderte sie nicht zurück. Das Lager in der Scheune war eine Studierstube geworden, er hatte sich einen Zeichentisch geschreinert und an den Balken große Pappen mit Formelsammlungen aufgehängt. Es war so wenig, er war so weit weg von allem, und doch war die Physik so wundersam, dass sie überall gleich funktionierte und dass auch ein ins Land gestreuter Junge an ihr hinabklettern konnte, so weit er sich wagte. Niemand fragte, wann er wieder in die Stadt zurückginge, und Ludwig war dankbar dafür, denn schon der Gedanke an die alte Stadt ließ ihn kalt werden an einer kleinen Stelle, nahe am Brustbein.
Zwei Jahre vergingen, er half auf dem Hof, sah das winzige Glück der beiden Bauersleute, die ihr Leben lang nichts gehabt hatten, als was jedes Jahr gewachsen war, auf den kleinen Feldern, im Garten hinter dem Haus oder in den Kühen, die so gleichmütig im Stall standen. Der Bauer sprach viel von einem Pferd, aber es gab keines. Die Magd hatte jemanden gefunden und verließ an Lichtmess den Hof, Ludwig weinte in seiner Kammer, niemand durfte es sehen. Nach dem Sommer stand sie wieder in der Küche, sie erzählte nicht, was vorgefallen war, die Bauern gaben ihr wieder dieselbe Kammer und die gleiche Arbeit, im Dorf redete man, aber nichts davon fand den versteckten Weg nach Pildau. Ihr Name war Ella.
In diesen Jahren wurde die Hofstange nicht verlängert, was die Alten bekümmerte. Sie wuschen das Moos von dem Stamm, um ihn hell zu halten, immer noch war das schwarze Pechmal da, aber sie hatten sich alle angewöhnt, diese Stelle nicht zu sehen. Die abergläubische Alte starb ganz ruhig in ihrem Bett. Ludwig wusste, er musste noch einmal weg, auf die Universität, aber er wusste auch, dass ihm die Oberschule fehlte. Sie erfuhren im Dorf, dass der Krieg vorbei war, lange schon, aber es gab nur böse Gesichter. Er sprach eines Abends mit dem Bauern von der Universität, der duldete keine Widerrede und schickte ihn in die Stadt, immer wieder und noch ein halbes Jahr lang, und dann ging Ludwig wirklich.
Dort war es gefährlich, alles lag wie im Fieber, so kam es Ludwig vor. Er traute sich die ersten Tage kaum aus seinem Zimmer, Pension hatte er bei einer dünnen Frau, der Mann noch in Frankreich oder sonst wo. Sie war bitter und sah Ludwig mit ganz ungünstigen Augen an, weil er jung war, gesund und ohne Uniform. Das Politische, das er vom Lehrer kannte, war nun an jeder Ecke zu hören. Jeden Tag gab es Versammlungen und Flugblätter, Ludwig gewöhnte sich an, die Bewegung der Menge mitzugehen, in der Mitte schien es ihm sicherer als am Rand, immer wieder gab es auch Schüsse.
Etwas Herrliches waren die Maschinen. Überall in der Stadt standen militärische Lastwagen, es gab Automobile, Turbinen und Drehstromtriebwagen. Weil die Universität verbarrikadiert war, begann Ludwig, sämtliche Apparaturen, deren er habhaft werden konnte, zu zeichnen und ihre Besitzer nach Funktion und Herkunft der Geräte zu befragen, er notierte Baupläne, wie er sie sich dachte, suchte Verbindungen, untersuchte die verarbeiteten Metalle und ihren Verschleiß. Ein Mann mit vielen roten Furchen im Gesicht zeigte ihm seine leere Glühbirnenfabrik am Rand der Stadt. Die Arbeiter waren noch
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