Vorn
dem Platz von Susanne Buchner. Sie hatte offenbar gerade etwas in der Grafikabteilung zu besprechen; das Mädchen deutete
aber mit einer Handbewegung auf den Schreibtisch der |16| Kollegin und bot ihm an, sich auf einen Stuhl zu setzen, so dass er Gelegenheit hatte, sich in Ruhe umzusehen.
In der Redaktion arbeiteten vielleicht fünfzehn Leute, fast alle zwischen Anfang und Ende zwanzig; sie telefonierten, standen
am Kopierer, besprachen miteinander ein paar gerade fertiggestellte Heftseiten. Es war aufregend für Tobias, jetzt zum ersten
Mal all die Gesichter zu den bekannten Namenszügen am Ende der Texte zu sehen. Er versuchte unter den Redakteuren, die vor
ihren Computern saßen oder in Gruppen zusammenstanden, diejenigen zu identifizieren, deren Geschichten ihn am meisten begeisterten,
sich zu überlegen, welches Gesicht zu welchem Namen passen könnte. Es gab einen, Felix Mertens, dessen Artikel ihm besonders
imponierten. Von ihm stammte die Geschichte über die Liebesrituale in dem Sonderheft ein paar Wochen zuvor, und auch sonst
waren Tobias in der letzten Zeit eine ganze Reihe von Felix’ Artikeln aufgefallen, in einer betont lakonischen Art geschrieben,
meistens in der Ich-Form. Er war der Autor, der den Tonfall im
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am stärksten prägte, der das Heft vor allen anderen Mitarbeitern von den etwas unbeholfenen, stadtzeitungshaften Ausgaben
der Anfangstage in dieses so beliebte Magazin verwandelt hatte. Aus dem Impressum wusste Tobias, dass Felix Mertens kein festes
Mitglied der Redaktion war, sondern ein freier Autor (auch in der Tageszeitung selbst tauchte sein Name manchmal auf). An
einem Schreibtisch sah er jetzt zwei Leute stehen, die sich miteinander unterhielten. In dem einen, mit weit über die Ohren
gekämmtem Britpop-Haarschnitt und einem englischen Fußballtrikot zur beigen Cordhose, glaubte er den Pop-Redakteur |17| des Heftes zu erkennen, Robert Veith, dessen Foto hin und wieder in Musikmagazinen abgedruckt war. Der andere, der an Roberts
Schreibtisch lehnte, sah sehr lässig aus; er hatte schwarze lockige Haare und wirkte fast ein bisschen südländisch. Tobias
war sich plötzlich sicher, dass das Felix Mertens sein müsse; ja, das Gesicht, das ganze Auftreten schien genau die Souveränität,
das Wissen um die Welt auszustrahlen, das in seinen Artikeln immer so faszinierte. Die beiden redeten aufeinander ein, lachten
viel, womöglich kamen sie gerade auf die Idee zu einem jener gemeinsamen Artikel, die sie im
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regelmäßig veröffentlichten. Erst kürzlich hatten die beiden einen Text über Band-T-Shirts geschrieben, und es war die Rede
von einem alten, ausgeblichenen Pink-Floyd-Shirt gewesen, das Mertens auf einer Party getragen und damit für Furore gesorgt
hatte. Jetzt konnte sich Tobias also ein Gesicht dazu vorstellen. (Ein paar Monate später, als er schon regelmäßiger freier
Autor beim
Vorn -
Magazin war, sah Tobias auf der Einweihungsfeier der neuen Redaktionsräume einen Gast in einer Ecke stehen, alleine, mit einem
Glas Sekt in der Hand. Er war ziemlich klein, hatte kurzes, schütteres Haar und trug eine Brille, und unter den ganzen sorgfältig
zurechtgemachten Party-Besuchern fiel er durch seine abseitige Kleidung auf, ein leuchtend rotes Jackett aus rauem Stoff und
darunter ein »König der Löwen«- T-Shirt. Tobias fragte Robert im Vorbeigehen, wer das denn sei, und er sagte: »Ach, das ist
Felix Mertens, habt ihr euch echt noch nie kennengelernt?« Den dunklen, lockigen Typen von damals sah er in all den Jahren
kein einziges Mal mehr, und als er Robert später einmal darauf ansprach, welcher Autor |18| oder Fotograf das gewesen sein könnte, wusste der nicht einmal, von wem Tobias sprach.)
An diesem Nachmittag in der Redaktion wurde Tobias Mitarbeiter des
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Magazins. Als Susanne Buchner zurück an ihren Platz kam und ihn begrüßte, sagte sie gleich, dass sie seinen Flipper-Artikel
gut fände und ihn fast unverändert im Heft abdrucken würde, »schon in der 42«: eine Zählweise, die Tobias nichts sagte, da
er als Leser nie auf die fortlaufende Nummerierung der wöchentlichen Ausgaben achtete; in der Redaktion selbst war diese Nummerierung
dagegen das allgemeine Orientierungssystem. Susanne führte den neuen Autor anschließend von Schreibtisch zu Schreibtisch,
stellte ihn allen Kollegen vor und erzählte ihm, für welche Teile des Heftes die anderen Mitarbeiter jeweils zuständig waren.
Jede
Vorn
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