Vorn
überbackenen Nudeln in der Luft hing. Doch in dieser Kneipe, in einer uneinsehbaren Nische, stand ein guter Flipper, der
einwandfrei funktionierte und fast nie besetzt war.
|25| Emily flipperte erstaunlich gut. Alle Mädchen, mit denen Tobias bislang gespielt hatte, ließen sich gar nicht auf den Apparat
ein, gaben sich von Anfang an keine Mühe. Sie drückten die Knöpfe nur halbherzig, so als wollten sie sich die Finger nicht
schmutzig machen, und wenn die Kugel ins Aus ging, wendeten sie sich sofort ab, mit einer Geste, die bedeuten sollte: Schau,
ich hab’s doch gesagt, dass ich’s nicht kann! Mädchen standen auch immer viel zu nah am Flippergerät, so dass sie von vornherein
keine richtige Übersicht über das Spielfeld und keinen Bewegungsspielraum hatten; man hätte höchstens denken können, dass
sie den Flipper umarmen und damit zu ihren Gunsten beeinflussen wollten. Bei Emily – das sah Tobias an diesem Abend sofort
– war das ganz anders. Sie hielt ein wenig Abstand zu dem Gerät, ein Bein vor das andere gestellt, und als die Flipperkugel
im Spiel war, bemerkte er auch, dass sie nicht den typischen Anfängerfehler beging und beide Schläger gleichzeitig drückte.
Nach einer Weile drohte die Kugel ins Seitenaus zu gehen, und da geschah etwas, das er bei einem Mädchen noch nie gesehen
hatte: Emily schüttelte den Flipper, fast bis zum Tilt, um die Kugel im Spiel zu halten. Tobias war fasziniert von ihrer Spielweise,
ärgerte sich aber über seine eigenen Ergebnisse. Er hatte diese Studentenkneipe ja vor allem deshalb vorgeschlagen, weil darin
der »Taxi« stand, ein Flipper, den er schon seit langem kannte. Auch wenn es eigentlich kindisch war: Er wollte mit Emily
nicht an einem Gerät spielen, das ihm selbst nicht vertraut war, wollte sie natürlich ein bisschen beeindrucken, indem er
– was bei diesem Gerät über kurz über lang meistens geschah – ein Freispiel machte. Jetzt sah |26| Tobias seiner Arbeitskollegin zu, wie sie die Kugel minutenlang im Spiel hielt, schon kurz vor dem Beleuchten des Jackpots
stand, und er selbst kam nicht über eine ziemlich peinliche Punktzahl hinaus. An ihrem Lächeln erkannte er, dass Emily seine
Gedanken genau erraten hatte. Bei den nächsten Spielen konnte sich Tobias dann noch ein wenig rehabilitieren, und um viertel
nach elf fuhren sie los, um die Abendschicht abzulösen. Emilys Ente hatte eine merkwürdige waagrechte Gangschaltung in Höhe
des Kassettenrekorders, und Tobias bewunderte sie ein wenig dafür, dass sie das Schalten so gut hinbekam. In der Unterkunft
unterhielten sie sich dann noch eine Zeitlang mit den beiden Kollegen, tranken von dem übriggebliebenen Weihnachts-Glühwein,
und als die anderen gegangen waren, holten sie sich – die Gespräche und Bewegungen immer zögerlicher, erwartungsvoller – die
Matratzen aus dem Lager, um sich für ein paar Stunden im Büro hinzulegen. In dieser Nacht wurden sie ein Paar.
Tobias hatte in der ersten Zeit mit Emily den Eindruck, dass sein Leben einrastete, dass es plötzlich in der richtigen Spur
war. Als er sie kennenlernte, hatte er keinerlei Zutrauen mehr zu seinem Gefühl. Denn jedes Mal, wenn er in den zwei, drei
Jahren davor mit einem Mädchen zusammengekommen war, hatte er die Wahrhaftigkeit seines Verliebtseins so lange in Frage gestellt,
bis es wieder verschwunden war. Seitdem er sich, noch zu Schulzeiten, von seiner ersten richtigen Freundin getrennt hatte,
konnte sich Tobias nicht mehr auf sein Empfinden verlassen. Wenn ihm ein Mädchen gefiel, musste er sich ständig ihr Gesicht
vorstellen, sobald er |27| alleine war; er zerlöcherte sein Gefühl regelrecht. Das Verliebtsein war auch von Anfang an so instabil, so flüchtig, dass
es von der geringsten Veränderung, von einer einzigen falschen Bewegung des Mädchens aus dem Gleichgewicht gebracht werden
konnte. Einmal hatte Tobias in einem Seminar eine Mitstudentin kennengelernt. Doch dann ging sie nach ihrer ersten gemeinsamen
Nacht zum Friseur, hatte statt ihrer schulterlangen Haare einen gewellten Kurzhaarschnitt, und als er sie am Nachmittag darauf
sah, auf der Terrasse der Germanistik-Cafeteria, wusste Tobias schlagartig, dass es vorbei war.
In dem Winter, als er in dem Betreuerteam zu arbeiten begann, hatte er sich schon fast mit dieser Eigenart abgefunden, nahm
sie hin wie eine irreparable Beschädigung. Und in den ersten Tagen mit Emily dann wartete er fast
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