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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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Mangocreme zum Dessert.
     Alles wie sonst; kein Zeichen des nahenden Unglücks.
     
    |220| Ich habe diese Quittung immer wieder durchgelesen, als wäre sie der Brief eines Verunglückten, verfasst eine Woche vor seinem
     völlig unerwarteten Tod – ein unspektakulärer, belangloser Brief, mit ein paar detaillierten Anweisungen, so wie ihn nur jemand
     schreiben kann, der sich mitten im Leben wähnt. Auf dem Papierhaufen im Schuhkarton aber war er das letzte Stück einer langen,
     abrupt abbrechenden Korrespondenz. Denn die nachfolgenden Belege stammten bereits von Restaurantbesuchen ohne dich, in der
     Pizzeria bei mir und im Rustico, mit Sarah oder mit den Leuten aus der Redaktion. Nur eine Quittung sechs Wochen später, von
     dem Waldgasthof im Isartal, den wir immer so sehr mochten, trug noch eine Spur von dir. Es war der Nachmittag, an dem wir
     uns endgültig trennten. Wir hatten uns zu einem Spaziergang am Isar-Hochufer verabredet, und du wolltest wissen, ob es nicht
     doch noch eine Chance für uns gäbe. Später im Restaurant ging ich deinen eindringlichen Reden aus dem Weg, wies dich mit einer
     Skrupellosigkeit ab, zu der wahrscheinlich nur frisch Verliebte fähig sind. Beim Herausgehen bekamst du einen Wutanfall, warfst
     deine Tasche nach mir, und dein Portemonnaie, ein alter, abgeblätterter Beutel (wie sehr war mir dieser alte, umständlich
     zu öffnende Geldbeutel vertraut, wie oft hatte ich ihn in den letzten sieben Jahren in der Hand gehabt) fiel auf den aufgeweichten
     Waldboden vor dem Lokal. Du stopftest deine beschmutzten Sachen in die Tasche, ranntest weinend zur nahegelegenen S-Bahn-Station,
     ich lief dir nach und erreichte den Zug gerade, als du eingestiegen warst. Niemals in meinem Leben werde ich den Gesichtsausdruck
     vergessen, mit dem du mich angesehen und mir |221| durch die Fensterscheibe kurz zugewinkt hast, als die S-Bahn sich in Bewegung setzte; es war eine Geste, die besagte: Okay,
     ich hab’s kapiert, aber weißt du eigentlich, was du zerstört hast? – Ich frage mich, warum ich diese Quittung überhaupt besitze.
     Konnte ich nach diesem Essen, in einem solchen Moment, tatsächlich daran gedacht haben, die Rechnung mitzunehmen? Der Beleg
     enthält eine Zeitangabe: »16.52 Uhr«, der Moment des Bezahlens ist minutengenau festgehalten. Jetzt, ein halbes Jahr später,
     kommt mir diese Angabe vor wie eine für immer eingefrorene Tatzeit, wie das Ziffernblatt einer stehengebliebenen Bahnhofsuhr
     im Augenblick des Attentats.«

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    Mitte Juni, als die Fußballweltmeisterschaft anfing, bekamen die Tage für Tobias langsam eine größere Stabilität. In den zweieinhalb
     Wochen der Vorrunde fanden fast immer drei Spiele am Tag statt, um halb drei, halb sechs und neun Uhr, und diese Termine waren
     für ihn verlässliche Anker in der Zeit. Vor allem die Abende konnten ihm jetzt nicht mehr völlig entgleiten wie in den Monaten
     zuvor, wenn keine Verabredung zustandegekommen war und er zu Hause stundenlang auf der Couch Gitarre spielte. Wie bei jeder
     Welt- oder Europameisterschaft hatten sich auch schnell bestimmte Orte ergeben, die Tag für Tag zur Anlaufstelle wurden und
     die Erinnerung an das Ereignis dann auf Jahre hinaus prägten. Bei der EM zwei Jahre zuvor waren es das Südstadt und das Café
     in der Muffathalle gewesen, wo er fast alle Spiele mit Emily und ein paar Freunden angeschaut hatte (und ihm nicht aufgefallen
     war, dass sie zu dieser Zeit schon wochenlang ihre Affäre mit Lars hatte). Jetzt verband er mit dem Turnier vor allem die
     große Altbauwohnung von Alexis, dem ehemaligen
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Grafiker, in der Tobias so gut wie jedes Abendspiel sah.
     
    Er wollte auch deshalb kein Spiel versäumen, weil er im Kulturteil der Tageszeitung an einer Kolumne über die Weltmeisterschaft
     mitarbeitete, so wie er jetzt ohnehin die meisten seiner Artikel für die Zeitung |224| selbst schrieb. Ein paar Tage nach dem Finale kam Johannes Veith dann auf ihn zu und bot ihm eine Stelle in seinem Ressort
     an, und Tobias sagte sofort zu. Auch wenn ihm die
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Redaktion in den vergangenen Wochen wieder ein wenig vertrauter geworden war: Er hatte schon länger den Eindruck gehabt, in
     den knapp drei Jahren bei der Zeitschrift alles gesagt zu haben. Die Themen begannen sich für ihn nun auch zu wiederholen.
     Von der Euphorie des Anfangs, dem Gefühl, das eigene Leben Woche für Woche ins Heft zu überführen, war immer weniger zu spüren;
     ihn ermüdeten eher die

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