Vorn
stündlich darauf, dass seine
gewohnten Zweifel einsetzen würden. Doch es war wie ein Wunder: Auf Emily schien die ständige Befragungsmanie in ihm nicht
zu reagieren. Tobias suchte anfangs sogar nach Gründen, die gegen sie sprachen, überlegte manchmal, ob er sie vielleicht nicht
doch zu unscheinbar fand. Doch ihre sichere Art beruhigte ihn jedes Mal, und die fast spöttischen Sätze, mit denen sie seine
Stimmungsschwankungen kommentierte, sorgten dafür, dass seine Unsicherheit nach und nach völlig verschwand. Emily gab ihm
auch von Anfang an zu verstehen, ihr selbständiges Leben auf jeden Fall weiterzuführen, und die Häufigkeit der Treffen wurde
eigentlich von ihr dirigiert. Sie wollte etwa nicht, dass sie ständig beieinander übernachteten, verbrachte mindestens jeden
zweiten Abend |28| alleine, und dieses vorsichtige Haushalten, diese Dosierung ihres Zusammenseins tat ihm gut; es unterschied sich auch komplett
von der fast verzweifelten Art, wie seine kurzen, schon nach wenigen Wochen oder sogar Tagen zu Ende gegangenen Liebesbeziehungen
in den Jahren davor abgelaufen waren. In diesen Begegnungen hatte es kein Haushalten gegeben, und gerade die Unsicherheit,
die sie damals spürten, war der Grund dafür gewesen, dass sie sich pausenlos sahen, so als hätte die ständige Gegenwart des
anderen ihre Zweifel beseitigen können.
Als Tobias mit Emily zusammenkam, war er erst ein paar Wochen lang von zu Hause ausgezogen, in das Apartment im Erdgeschoss
eines Sechziger-Jahre-Wohnblocks. Die wenigen Möbel darin stammten alle noch aus seinem alten Zimmer: der Schreibtisch, das
ausgeleierte beige-braun gemusterte Schlafsofa, der Kleiderschrank im Flur. Das Geschirr in der Küche, in der anfangs nur
ein Plastiktisch aus dem Keller seiner Eltern stand, stapelte sich auf dem Nachtspeicherofen neben dem Spülbecken. Und einen
Teppich hatte er allein für das große Zimmer besorgt; in der Küche, im Flur und im Bad lag nichts als ein körniger, gelbbrauner
PVC-Belag. (Noch immer hinterließen seine Schritte ein hohles Echo in den Räumen, als sei er eben erst eingezogen.) In den
ersten Monaten mit Emily dann verschönerten sie mit großer Ausdauer Tobias’ Wohnung. Emily war im Münchner Norden aufgewachsen,
gleich an der Endhaltestelle der U6, und sie kannte die ganzen Einrichtungsgeschäfte, die sich dort an den Ausfallstraßen
aneinanderreihten, »Teppich Domäne«, »Hin & |29| Mit«, »Möbelum« oder »Holzconnection«. In ihrer Ente fuhren die beiden fast jede Woche diese Läden ab, kauften den gleichen
schwarz-weiß karierten Boden für die Küche, den auch Emily hatte, einen Teppich für den Flur, den ovalen Marmortisch und zugehörige
schwarze Bistrostühle. Sie brachten den Jugendzimmer-Kleiderschrank auf den Sperrmüll, und Emily lieh ihm eine alte, von ihr
selbst lackierte Wäschetruhe. In die Küche bauten sie ein großes Regal für das ganze Geschirr ein. Emily war im Gegensatz
zu Tobias handwerklich sehr geschickt, hatte mit ihrem ehemaligen Freund sogar eine Zeitlang Motorräder repariert und verkauft
(und das alte Fahrrad, das sie einmal über Wochen hinweg für Tobias im Keller zusammenbaute, völlig unbemerkt von ihm, war
das schönste Geburtstagsgeschenk, das er jemals bekommen hatte).
Was zwischen Tobias und Emily besonders gut funktionierte, war auch das gemeinsame Reisen. Bis dahin hatte er das nicht gekannt:
Wenn er mit jemandem in Urlaub gefahren war, hatte sich der Rhythmus des Tagesablaufs nie in Übereinkunft bringen lassen;
es stellte sich nach einiger Zeit immer ein beklemmendes Gefühl ein, der andere kam einem zu nah mit seinen Eigenheiten. Die
Gelassenheit mit Emily dagegen erwies sich schon an der Art des Aufbrechens. In ihrem ersten gemeinsamen Urlaub fuhren sie
nach Süditalien; am Abreisetag wollten sie bis zum Gardasee kommen. Morgens frühstückten sie lange in Emilys Wohnung, und
Tobias beschriftete noch die neuen Kassetten, die er für die Fahrt aufgenommen hatte. Im Auto dann, am frühen Nachmittag,
waren sie bester Stimmung. Tobias |30| musste an die Ferienreisen mit den Eltern früher denken, wenn sie im Morgengrauen vollkommen übermüdet und mit flauem Magen
in den Wagen stiegen, nach Rimini oder Bibione. Die Reisezeit betrug damals auch nicht viel länger als jetzt an den Gardasee,
allenfalls fünf, sechs Stunden, doch aus rätselhaften Gründen war es ein Gesetz, dass man spätestens um fünf Uhr
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