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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Die Tür war unverschlossen. Und wenn Sie jetzt sagen wollen, auch das sei merkwürdig, haben Sie keine Ahnung vom Leben auf der Landzunge. Da wir hier sehr abgelegen wohnen, haben wir uns angewöhnt, die Türen nicht mehr abzuschließen. Ich glaube, es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, sein Atelier abzuschließen. Als ich am Schalter links von der Tür das Licht anknipste, entdeckte ich, daß das Bild nicht da war.«
    »Könnten Sie mir genau beschreiben, was sich abspielte? In allen Einzelheiten, bitte – soweit Sie sich erinnern können.«
    »Wir sprechen von gestern abend, Chief Inspector. Es würde mir schwerfallen, mich nicht an die Details zu erinnern. Ich ließ das Licht im Schuppen an und klopfte an die Haustür des Cottage. Drinnen brannte Licht, allerdings nur unten, aber die Vorhänge waren zugezogen. Ich mußte etwa eine Minute warten, bis er kam. Er öffnete die Tür nur halb und bat mich nicht herein. Ich sagte: ›Guten Abend, Ryan.‹ Er nickte nur, antwortete aber nicht. Er roch ziemlich stark nach Whisky. Dann sagte ich zu ihm: ›Ich wollte Ihr Porträt abholen, aber es ist nicht drüben im Schuppen. Das heißt, ich habe es jedenfalls nicht gefunden.‹ Dann antwortete er ein bißchen lallend. ›Es steht links von der Tür, in Pappe und braunes Papier verpackt. Ein braunes Papierpaket. Mit Klebeband.‹ Ich sagte: ›Im Moment jedenfalls nicht.‹ Er antwortete nicht, kam aber zu mir heraus und ließ die Haustür offenstehen. Wir gingen gemeinsam zum Schuppen hinüber.«
    »Konnte er gehen, ohne zu schwanken?«
    »Keineswegs. Aber er vermochte sich auf den Beinen zu halten. Als ich sagte, er rieche nach Alkohol und seine Sprechweise sei lallend, meinte ich damit nicht, daß er vollkommen unzurechnungsfähig gewesen sei. Aber ich hatte den Eindruck, daß er so ziemlich den ganzen Abend hindurch getrunken hatte. Eine halbe Minute lang sagte er nichts. Und dann auch nur: ›Es ist weg.‹«
    »Wie klang er dabei?« Und als sie nicht sofort antwortete: »Entsetzt? Wütend? Überrascht? Oder zu betrunken, um überhaupt zu reagieren?«
    »Ich habe Ihre Frage verstanden, Chief Inspector. Sie sollten ihn lieber selber fragen, was er empfand. Ich kann lediglich beschreiben, wie er aussah, was er sagte und was er tat.«
    »Und was tat er?«
    »Er wandte sich um und hämmerte mit den Fäusten an den Türbalken. Dann lehnte er einen Augenblick lang den Kopf ans Holz. Ich hielt das für eine recht theatralische Geste, vermute aber, daß sie echt war.«
    »Und dann?«
    »Ich sagte zu ihm: ›Sollten wir nicht die Polizei anrufen? Das könnten wir von hier aus tun – das heißt, wenn Ihr Telephon in Ordnung ist. Ich habe Sie zu erreichen versucht, aber es war immer besetzt.‹ Da er nicht antwortete, folgte ich ihm zum Cottage zurück. Er bat mich nicht herein, und ich blieb an der Tür stehen. Er ging zu der Nische unter der Treppe hinüber und sagte dann: ›Der Hörer liegt nicht richtig auf. Vermutlich konnten Sie deswegen nicht durchkommen.‹ Ich wiederholte: ›Wir sollten jetzt gleich die Polizei anrufen. Je eher der Diebstahl gemeldet wird, desto besser.‹ Er drehte sich zu mir um und antwortete nur. ›Morgen. Morgen.‹ Dann kehrte er zu seinem Sessel zurück. Ich ließ nicht nach. ›Soll ich anrufen, Ryan, oder wollen Sie’s selber tun? Es ist wirklich wichtig!‹ Er sagte: ›Ich mache das schon. Morgen. Gute Nacht.‹ Das war ein deutlicher Hinweis darauf, daß er allein sein wollte. Also verabschiedete ich mich.«
    »Und während dieses Besuchs sahen Sie niemand anders als Mr. Blaney? Die Kinder, zum Beispiel, waren nicht mehr auf?«
    »Ich vermutete, daß die Kinder im Bett lagen. Ich habe sie weder gehört noch gesehen.«
    »Und Sie haben nicht über den Tod des Whistlers gesprochen?«
    »Ich nahm an, daß George Jago Mr. Blaney angerufen hatte, vermutlich sogar, bevor er mich selbst anrief. Und was gab es da noch zu besprechen? Weder Ryan noch ich waren in der Stimmung für ein bißchen Nachbarschaftstratsch.«
    Diese beiderseitige Zurückhaltung, sinnierte Rikkards, war doch reichlich sonderbar. Hatte sie es wirklich so eilig gehabt wegzukommen, und er, endlich wieder in Ruhe gelassen zu werden? Oder hatte einen von beiden etwa ein noch erschütternderes Ereignis als das verschwundene Porträt sogar den Whistler vorübergehend vergessen lassen?
    Rikkards hatte noch eine entscheidende Frage. Die Folgerungen lagen auf der Hand, und Alice Mair war viel zu intelligent, um sie nicht zu

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