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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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anmaßend und impertinent erscheinen werden, übersensibel reagieren zu müssen.«
    Der Zorn hatte ihm die Zunge gelöst. Ihre Blicke trafen sich. Der seine war, wie er wußte, eiskalt vor Wut, sowohl über Oliphants Taktlosigkeit als auch über Alice Mairs Antwort. Der Blick der grauen Augen, der dem seinen begegnete, war jedoch weniger einfach zu ergründen. Er glaubte Überraschung darin zu entdecken, gefolgt von Wachsamkeit, zögerndem Respekt und beinahe spekulativem Interesse.
    Als Alice Mair ihre Besucher jedoch fünfzehn Minuten später zur Tür begleitete, war Rikkards nur leicht erstaunt, als sie ihm die Hand reichte. Während er sie ergriff, sage sie: »Bitte verzeihen Sie mir, Chief Inspector, wenn ich unhöflich war. Ihre Arbeit ist eine unangenehme, doch notwendige Pflicht, und Sie haben ein Recht auf Mitarbeit. Die Sie von mir auch erhalten werden.«

31
    Auch ohne das grellbunt bemalte Wirtshausschild hätte niemand an der Identität des großen Helden des Ortes gezweifelt, nach dem das Pub von Lydsett benannt worden war, und selbst ein Fremder hätte den Admiralshut mit dem Stern, die reich dekorierte Heldenbrust, die schwarze Augenklappe und den aufgesteckten, leeren Ärmel erkannt. Ich habe schon schlechtere Porträts von Lord Nelson gesehen, dachte sich Rikkards, aber nicht viele. Dieses erinnerte ihn an eine Kronprinzessin im Karnevalskostüm.
    George Jago hatte offenbar entschieden, daß die Befragung in der Saloon Bar stattfinden sollte, über der jetzt die träge Stille des späten Nachmittags lag. Mit seiner Frau zusammen führte er Rikkards und Oliphant zu einem kleinen Kneipentisch mit Holzplatte und gußeisernen Beinen, der dicht neben dem riesigen, doch leeren Kamin stand. Sie saßen daran, dachte Rikkards, wie vier schlecht zueinander passende Personen, die sich in einem dämmerigen Hinterzimmer zu einer Séance zusammengefunden hatten. Mrs. Jago war eine knochige Frau mit stechenden Augen und scharfen Zügen, die Oliphant musterte, als sei sie seinem Typ schon früher begegnet und fest entschlossen, sich von ihm nicht einschüchtern zu lassen. Sie war auffallend geschminkt. Zwei Halbmonde aus grellem Rouge zierten die Wangen, ihr breiter Mund war mit farblich passendem Lippenstift nachgezogen, und an ihren Fingern mit den blutrot lackierten, krallenähnlichen Nägeln glitzerten zahlreiche dicke Ringe. Ihr Haar – von einem so glänzenden Schwarz, daß es unnatürlich wirkte – war vorn zu drei Reihen fester Löckchen gedreht, dahinter hoch auf den Kopf getürmt und sowohl hinten als auch an den Seiten mit Kämmen festgesteckt. Zu einem Faltenrock trug sie eine Bluse aus glänzendem, rot, blau und weiß gestreiften Stoff, hochgeschlossen und mit dicken Goldketten geschmückt – eine Aufmachung, in der sie wie eine Kleindarstellerin wirkte, die sich für die Rolle der Bardame in einer Ealing-Komödie bewirbt. Für ein Country Pub hätte sie nicht unpassender gekleidet sein können, doch wirkten sie und ihr Mann, wie sie da mit der strahlenderwartungsvollen Miene wohlerzogener Kinder nebeneinandersaßen, als fühlten sie sich in der Bar und miteinander hundertprozentig wohl. George Jago hatte früher ein Pub in Catford gehabt, jedoch war das Ehepaar vor vier Jahren nach Lydsett umgezogen, unter anderem, weil Jagos Bruder Charlie Sparks dort am Ortsrand eine Autowerkstatt mit Autoverleih besaß und eine Teilzeithilfskraft brauchte. Gelegentlich übernahm George Jago auch für ihn Fuhren und überließ es Mrs. Jago, sich um die Bar zu kümmern. Die beiden hatten sich gut im Dorf eingelebt, nahmen lebhaften Anteil an den Gemeindeaktivitäten und schienen die lärmende Stadt nicht zu vermissen. East Anglia, dachte Rikkards bei sich, hat schon exzentrischere Menschen aufgenommen und absorbiert. Unter anderem mich selbst.
    George Jago sah schon eher aus wie ein Landgastwirt: ein untersetzter Mann mit fröhlichem Gesicht und glänzenden, lustigen Augen. Er strahlte eine Art gezügelte Energie aus, von der er einen Teil eindeutig auf die Inneneinrichtung des Pubs verwendet hatte. Die Saloon Bar mit der niedrigen Decke aus Eichenbalken glich einem vollgestopften, schlecht organisierten Museum zur Erinnerung an Lord Nelson. Jago mußte ganz East Anglia abgegrast haben, auf der Suche nach Objekten, die auch nur entfernt mit dem Admiral zu tun hatten. Über dem offenen Kamin hing eine riesige Lithographie der Szene an Deck der Victory, wo Nelson überaus romantisch in Hardys Armen verschied.

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