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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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optimistischer.«
    »Sie wissen es. Wir wissen es alle. Wie könnte man sonst die moderne Krankheit der Menschen erklären? Und wenn die endgültige Finsternis hereinbricht, werde ich sterben, wie ich gelebt habe: im nächsten Straßengraben.« Er zeigte ein überraschend freundliches Lächeln und setzte hinzu: »Mit Ihren Schuhen an den Füßen, Adam Dalgliesh.«

41
    Nach der Begegnung mit dem Landstreicher Jonah blieb Dalgliesh seltsam ruhelos zurück. Es gab in der Mühle eine Menge zu tun, aber er hatte keine Lust, irgend etwas anzupacken. Instinktiv drängte es ihn, in den Jaguar zu steigen und möglichst schnell möglichst weit wegzufahren. Aber er hatte diesen Ausweg schon zu oft gewählt, um noch an seine Wirkung zu glauben. Die Mühle würde immer noch stehen, wenn er zurückkehrte, und seine Probleme würden immer noch ungelöst sein. Es fiel ihm nicht schwer, die Ursache seiner Unzufriedenheit zu erkennen: Es war die frustrierende Verwicklung in einen Fall, der niemals der seine sein würde, von dem er sich aber dennoch nicht zu distanzieren vermochte. Ihm fielen ein paar Worte ein, die Rikkards gesprochen hatte, als sie sich in der Mordnacht endlich verabschiedeten: »Sie mögen nicht hineingezogen werden wollen, Mr. Dalgliesh, aber Sie sind schon mittendrin. Sie mögen sich wünschen, niemals in die Nähe der Leiche gekommen zu sein, aber Sie waren dort.«
    Er erinnerte sich, in einem seiner eigenen Fälle einem Verdächtigen ungefähr dasselbe gesagt zu haben. Und allmählich begriff er, warum diese Worte so negativ aufgenommen worden waren. Einer plötzlichen Regung folgend, schloß er die Tür zur Mühle auf und kletterte die Leitern bis ins oberste Stockwerk hinauf. Hier, vermutete er, hatte seine Tante Frieden gefunden. Vielleicht würde einiges von dieser vergangenen Zufriedenheit ja auch auf ihn übergehen. Doch seine Hoffnung, ungestört zu bleiben, sollte schon gleich darauf zunichte gemacht werden.
    Als er vom Südfenster aus auf die Landzunge hinausblickte, kam tief unten ein Fahrrad in Sicht. Anfangs war es noch zu weit entfernt, um ausmachen zu können, wer es fuhr, dann aber erkannte er Neil Pascoe. Sie hatten zwar noch nie miteinander gesprochen, kannten sich aber, wie alle Landzungenbewohner, vom Sehen. Pascoe schien mit finsterer Entschlossenheit in die Pedale zu treten; sein Kopf war tief über die Lenkstange gebeugt, seine Schultermuskeln arbeiteten heftig. Doch als er sich der Mühle näherte, machte er auf einmal halt, stellte beide Füße auf den Boden, starrte zur Mühle hinüber, als sähe er sie zum erstenmal, stieg ab und begann das Rad über das unebene, mit Gestrüpp bewachsene Gelände zu schieben.
    Sekundenlang war Dalgliesh versucht, so zu tun, als sei niemand zu Hause. Dann wurde ihm klar, daß der Jaguar neben der Mühle parkte und daß Pascoe bei seinem langen Blick auf die Mühle sein Gesicht am Fenster entdeckt haben mußte. Was immer der Grund seines Besuches war – es schien, als könnte er ihm nicht aus dem Weg gehen. Er wechselte zum Fenster über der Tür hinüber, öffnete es und rief hinab: »Suchen Sie mich?«
    Es war eine rhetorische Frage. Wen sollte Pascoe wohl sonst in der Larksoken-Mühle zu finden hoffen? Als er auf das emporgereckte Gesicht mit dem schütteren Kinnbart hinabblickte, wirkte der junge Mann auf Dalgliesh seltsam verkleinert, eine verletzliche, bemitleidenswerte Gestalt, die sich schutzsuchend an ihr Fahrrad klammerte.
    Gegen den Wind rief Pascoe hinauf: »Kann ich mal mit Ihnen reden?«
    Eine ehrliche Antwort hätte gelautet: »Wenn’s unbedingt sein muß.« Aber Dalgliesh hatte das Gefühl, dergleichen nicht gegen das Pfeifen des Windes hinabrufen zu können, ohne äußerst unhöflich zu wirken. Also formte er die Worte: »Ich komme!«
    Pascoe lehnte das Fahrrad an die Mühlenwand und folgte ihm ins Wohnzimmer.
    »Wir haben uns noch nicht persönlich kennengelernt«, begann er, »aber ich nehme an, Sie haben von mir gehört. Ich bin Neil Pascoe vom Caravan. Es tut mir leid, daß ich so reinplatze, während Sie doch sicher Ihre Ruhe haben wollen.« Das klang so verlegen wie ein Hausierer, der einen potentiellen Kunden davon überzeugen will, daß er kein Betrüger ist.
    Dalgliesh war versucht zu antworten: »Ich möchte zwar meine Ruhe haben, aber es scheint, als werde ich sie nicht kriegen.« Laut fragte er: »Einen Kaffee?«
    Pascoe gab die voraussehbare Antwort: »Wenn’s Ihnen nicht zuviel Mühe macht.«
    »Keineswegs. Ich wollte

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