Vorsatz und Begierde
Wovon redest du? Und warum kehren wir nicht zurück? Du hast gesagt, wir fahren nur eine Stunde raus. Du hast gesagt, wir wollen draußen ein paar Genossen treffen und uns neue Anweisungen holen. Ich habe Neil eine Nachricht hinterlassen, daß ich nicht lange wegbleibe. Ich muß zurück zu meinem Timmy!«
Doch Caroline sah sie immer noch nicht an, sondern sagte: »Wir kehren nicht zurück, weil das unmöglich ist. Als ich dich aus diesem Londoner Loch herausrekrutierte, hab ich dir nicht die Wahrheit gesagt. Das lag nicht in deinem Interesse, und ich wußte nicht, wie weit ich dir trauen konnte. Aber auch ich kannte nicht die ganze Wahrheit – nur soviel, wie ich unbedingt wissen mußte. So funktioniert das eben bei solchen Aktionen. Die Operation ›Birdcall‹ hat nichts mit der Besetzung von Larksoken im Namen des Tierschutzes zu tun. Sie hat nichts mit bedrohten Walen, kranken Seehunden, gequälten Versuchstieren, ausgesetzten Hunden und all den anderen idiotischen Anliegen zu tun, von denen du mir dauernd die Ohren volljammerst. Es geht um etwas weitaus Wichtigeres. Es geht um die Menschheit und ihre Zukunft. Es geht darum, wie wir mit unserer Welt umgehen.«
Sie sprach sehr leise, aber mit leidenschaftlicher Intensität. Durch das Lärmen des Motors hindurch rief Amy: »Ich kann dich nicht verstehen! Ich kann dich furchtbar schlecht verstehen! Stell endlich diesen verdammten Motor ab!«
»Noch nicht. Wir haben noch eine weite Fahrt vor uns. Wir treffen uns an einem genau festgelegten Punkt. Dazu müssen wir Richtung Südost fahren und dann die Off-shore-Anlagen des Kraftwerks und den Leuchtturm von Happisburgh anpeilen. Hoffentlich wird der Nebel nicht dichter.«
»Aber wen – wen werden wir treffen?«
»Die Namen sind mir nicht bekannt, ebensowenig ihre Positionen in der Organisation. Wie schon gesagt, uns allen wird nur gerade so viel gesagt, wie wir unbedingt wissen müssen. Meine Instruktionen lauten, daß ich, falls die Operation ›Birdcall‹ auffliegen sollte, eine bestimmte Nummer wählen und das Notverfahren in Gang setzen soll, durch das ich rausgeholt werde. Deswegen habe ich dieses Boot gekauft und dafür gesorgt, daß es stets startklar war. Man hat mir sehr genau erklärt, wo man uns aufnehmen wird. Dann werden sie uns nach Deutschland bringen, mit falschen Papieren und einer neuen Identität ausstatten, uns in die Organisation eingliedern und uns einen Job vermitteln.«
»Mich nicht, verdammt noch mal!« Amy starrte Caroline entgeistert an. »Das sind Terroristen – oder? Und du bist auch eine. Du bist eine beschissene Terroristin!«
»Und was sind die Agenten des Kapitalismus? Was ist das Militär, die Polizei, was sind die Gerichte? Was sind die Industriebarone, die multinationalen Konzerne, die drei Viertel der Weltbevölkerung unterdrücken und in Armut und Elend gefangenhalten? Benutze bitte keine Wörter, die du nicht kapierst.«
»Oh, dieses Wort kapiere ich schon. Und hör auf, mich so herablassend zu behandeln! Bist du nicht ganz dicht? Was hattet ihr vor, verdammt noch mal – den Reaktor sabotieren, die ganze Radioaktivität rauslassen, schlimmer als Tschernobyl, und alle Leute auf der Landzunge umbringen, Timmy und Neil, Smudge und Whisky?«
»Wir brauchen weder den Reaktor zu sabotieren noch Radioaktivität rauszulassen. Wenn wir die Kraftwerke erst besetzt haben, würde die Drohung allein schon genügen.«
»Die Kraftwerke? Wie viele? Und wo?«
»Eins hier, eins in Frankreich, eins in Deutschland. Die Aktion würde koordiniert ablaufen, und das würde genügen. Es geht nicht um das, was wir tun könnten, wenn wir sie besetzt haben; es geht um das, was die Leute glauben, daß wir tun könnten. Krieg ist altmodisch und überflüssig. Wir brauchen keine Armeen. Wir brauchen nur ein paar gut ausgebildete, intelligente und begeisterte Genossen mit den notwendigen Fähigkeiten. Das, was du Terrorismus nennst, könnte die Welt verändern und ist, was Menschenleben betrifft, weitaus kosteneffektiver als das Militär, diese Todesmaschinerie, in der mein Vater Karriere gemacht hat. Nur eines haben diese beiden gemeinsam: Ein jeder Soldat muß letztlich bereit sein, für die Sache zu sterben. Na schön, das sind wir ebenfalls.«
»Aber so was darf nicht passieren!« rief Amy verzweifelt.
»Die Regierungen werden es nicht zulassen!«
»Es passiert, und sie können es nicht verhindern. Sie sind sich uneinig, und sie haben nicht genug Willenskraft. Dies ist aber erst der
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