Vorsatz und Begierde
Anfang.«
Amy starrte Caroline an. »Halt sofort dieses Boot an!« verlangte sie. »Ich steige aus.«
»Und schwimmst an Land? Du wirst entweder ertrinken oder erfrieren. Und in diesem Nebel!«
Amy hatte gar nicht bemerkt, daß der Nebel dichter geworden war. Eben noch hatte sie das Gefühl gehabt, sie könne die fernen Lichter der Küste wie Sterne sehen, könne die Schwärze der klatschenden Wellen erkennen, ein Stückchen weit voraus blicken. Auf einmal aber war, langsam und unaufhaltsam, eine klamme Nässe herangekrochen. »O Gott, bring mich zurück!« weinte sie. »Du muß mich rauslassen! Laß mich raus! Ich will zu Timmy! Ich will zu Neil!«
»Das kann ich nicht, Amy. Hör zu, wenn du bei dieser Sache nicht mitmachen willst, sag das doch einfach, wenn das andere Boot kommt. Dann werden sie dich irgendwo an Land setzen. Nicht unbedingt an diesem Teil der Küste, aber irgendwo. Aufmüpfige Rekruten können wir nicht gebrauchen. Es ist so schon schwierig genug, dich mit einer neuen Identität auszustatten. Aber wenn du nichts damit zu tun haben wolltest, dich nicht festlegen wolltest – warum hast du dann Hilary Robarts umgebracht? Glaubst du, wir könnten eine Morduntersuchung gebrauchen, die Larksoken zum Mittelpunkt hat, die polizeiliche Ermittlungen nach sich zieht, so daß Rikkards sich ständig auf dem Gelände herumtreibt, die die Vergangenheit eines jeden Verdächtigen durchleuchtet und nichts, aber auch gar nichts unerforscht läßt? Und wenn Rikkards dich verhaftet hätte – wie sicher könnte ich sein, daß du nicht zusammenbrichst, ihm von der Operation ›Birdcall‹ erzählst, Zeugin der Anklage wirst?«
»Bist du wahnsinnig?« rief Amy voller Angst. »Ich sitze mit einer Wahnsinnigen in einem Boot! Ich habe die Robarts nicht umgebracht!«
»Wer hat es dann getan? Pascoe? Das wäre fast genauso gefährlich.«
»Wie denn? Der war doch auf dem Rückweg von Norwich. Hinsichtlich der Zeit haben wir Rikkards nicht die Wahrheit gesagt, aber er war um Viertel nach 9 wieder im Caravan, und wir waren den ganzen Abend mit Timmy zusammen. Und diese ganze Geschichte mit dem Whistler, der ihr die Stirn zerschnitten, die Haare abgeschnitten hat – davon hatten wir keine Ahnung! Ich dachte, du hättest sie umgebracht.«
»Warum sollte ich?«
»Weil sie was über die Operation ›Birdcall‹ rausgefunden hat. Läufst du nicht deswegen davon, weil dir nichts anderes übrigbleibt?«
»Du hast recht, mir bleibt nichts anderes übrig. Aber nicht etwa wegen der Robarts. Die hat überhaupt nichts rausgefunden. Wie denn auch? Aber irgend jemand hat was entdeckt. Es ist ja nicht nur der Mord an Hilary Robarts. Die Sicherheitsdienste haben angefangen, mir nachzuspüren. Irgendwie haben die einen Tip gekriegt, vermutlich von einem aus den deutschen Zellen oder von einem Spitzel in der IRA.«
»Woher willst du das wissen? Es könnte doch sein, daß du völlig umsonst wegläufst.«
»Es gab zu viele Zufälle. Die letzte Postkarte, die du in den Ruinen versteckt hast. Ich hab dir gesagt, daß sie verkehrt herum wieder hineingelegt wurde. Irgend jemand hat sie gelesen.«
»Die hätte jeder finden können. Und die Nachricht hätte alles mögliche bedeuten können. Für mich war sie absolut sinnlos.«
»Wer sollte sie wohl Ende September finden, wo die Picknicksaison längst vorüber ist? Finden und dann gewissenhaft zurücklegen? Und das war nicht alles. Sie haben die Wohnung meiner Mutter überprüft. Die hat eine Haushälterin, die früher meine Nanny war. Heute früh hat sie mich angerufen und es mir mitgeteilt. Da wollte ich nicht länger warten und habe das Signal gegeben, das den Genossen draußen sagt, daß ich unbedingt raus muß.«
Auf der Steuerbordseite wirkten die vereinzelten Lichter der Küste durch den Nebel zwar verschwommen, waren aber immer noch zu erkennen. Und das Dröhnen des Motors klang jetzt weniger aufdringlich, fast wie ein gemütliches, sanftes Brummen. Oder, dachte Amy, ich habe mich daran gewöhnt. Aber es war ein seltsames Gefühl, so ruhig und stetig durch die Dunkelheit zu gleiten und Carolines Stimme unglaubliche Dinge sagen zu hören, von Terrorismus und Flucht und Verrat – so gelassen, als spreche sie über die Vorbereitungen zu einem Picknick. Aber Amy mußte es hören, mußte es wissen. Sie hörte sich fragen: »Wo hast du sie kennengelernt, diese Leute, für die du arbeitest?«
»In Deutschland, als ich siebzehn war. Meine Nanny war krank, deswegen mußte ich die
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