Vorsicht, frisch verliebt
Macht Stehende unternehmen müsste, damit sie das niemals begriff.
Nur, dass Isabel die Menschen durchschaute. Sie war kein emotional bedürftiges Weibchen, das von seinem guten Aussehen geblendet worden war. Was, wenn die Dinge, die sie über ihn sagte, wirklich stimmten? Was, wenn sie Recht hatte und er aus der Gewöhnung an das alte Selbstbild den Mann nicht erkannte, der er inzwischen war?
Der Gedanke rief ein Gefühl des Schwindels in ihm wach. Die Freiheit, die eine neue Selbstsicht ihm verleihen würde, eröffnete zu viele Perspektiven, um jetzt darüber nachdenken zu können. Erst musste er versuchen, noch einmal mit ihr zu reden, ihr zu sagen, was er für sie empfand. Allerdings hatte er das ungute Gefühl, dass er es von ihr bestimmt nicht leicht gemacht bekäme.
Bis heute hätte er geschworen, dass sie eine unbegrenzte Fähigkeit zur Vergebung hatte, inzwischen jedoch war er sich da nicht mehr sicher. Er spähte zu der Stelle, an der sie tanzte. Die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war, beschränkte sich eindeutig nicht auf die abgesäbelten Haare, das flammend rote Kleid oder den glühend heißen Zorn. Etwas an ihr ...
Sein Blick fiel auf ihr nacktes Handgelenk, und die Panik, die er so dringend hatte unterdrücken wollen, traf ihn wie ein Hammer. Sie hatte ihr Armband abgelegt. Er musste schlucken, als er plötzlich die Ursache ihrer Veränderung begriff.
Isabel hatte vergessen zu atmen.
Isabel meinte zu ersticken. Sie ballte die Fäuste, machte sich von Andrea los und schlängelte sich zwischen den Tanzenden hindurch an den Rand der Loggia. Die Kinder rannten juchzend durch die Gegend, und überall sah sie glückliche Gesichter, doch statt sie zu beruhigen, entfachte dieses Glück ihren Ärger nur noch mehr.
Andrea kam ihr nach, um zu sehen, was los war, doch sie wandte sich ab und lief hinunter in den Garten. Ein Fensterladen hatte sich aus der Verankerung gelöst und schlug klappernd gegen die Wand.
Inzwischen richtete sich ihr Zorn nicht länger gegen Ren, sondern gegen sich selbst. Ihr grellfarbenes Kleid verätzte ihr die Haut. Am liebsten hätte sie es sich vom Leib gerissen, hätte sich die Haare wieder wachsen lassen und sich das Make-up aus dem Gesicht gewischt. Sie wünschte sich ihre Gelassenheit zurück, ihre Beherrschtheit, ihre Gewissheit, dass es im Leben eine feste Ordnung gab - wünschte sich all das, was ihr drei Abende zuvor bei der Lektüre der Briefe ihrer Fans und während der Gebete am Kamin abhanden gekommen war.
Das Zeltdach flatterte wie ein Segel in dem aufkommenden Sturm. Die Kinder - Jungen gegen Mädchen - rannten ausgelassen kreischend zu nahe an den Pfosten und an dem Tisch, auf dem die Statue stand, vorbei. Sie starrte auf die einsame weibliche Figur, die die Macht über das Leben in sich barg.
UMARME ...
Anders als während ihrer Gebete an dem Abend vor dem Kamin hörte sie dieses Mal in ihrem Innern kein unverständliches Geflüster, sondern einen lauten Schrei.
UMARME ...
Sie starrte auf die Statue. Sie wollte nicht umarmen. Sie wollte zerstören. Ihr altes Leben und ihr altes Ich. Aber sie hatte zu große Angst vor dem, was auf der anderen Seite dieser Mauer lag.
Ren kam mit besorgter Miene durch den Garten auf sie zu. Die tobenden Jungen johlten, und die Mädchen quietschten. Isabel ging über den Weg auf den Morgenschatten zu.
UMARME ...
Das war noch nicht alles. Die Stimme hatte ihr noch mehr zu sagen. Das wusste sie genau.
UMARME DAS ...
Anna schrie auf und befahl den Kindern streng, sich von den Pfosten fern zu halten. Doch ihre Warnung kam zu spät. Der Anführer der Horde stolperte und rumpelte gegen einen Pfahl.
UMARME DAS ...
»Isabel, pass auf!«, rief Ren. Das Zelt geriet ins Schwanken. »Isabel!«
Die Stimme in ihrem Inneren begann zu brüllen, und Freude wogte in ihr auf.
UMARME DAS CHAOS!
Als das Zelt zusammenbrach, riss sie die Statue vom Tisch und begann zu rennen.
24
Isabels geordnete Welt war aufgebrochen, und sie stürzte sich mitten hinein. Die Stimme schnappte nach ihren Fersen und dröhnte in ihrem Kopf.
Umarme das Chaos!
Die kostbare Statue fest umklammernd, stürzte sie ums Haus. Am liebsten wäre sie geflogen, doch sie hatte weder Flügel noch ein Flugzeug, ja, nicht mal ihren Panda. Alles, was sie hatte, war ...
Rens Maserati.
Sie rannte auf den Wagen zu. Das Dach war offen, und in der Aufregung des Tages hatte Giancarlo tatsächlich die Schlüssel stecken lassen. Schlitternd kam sie neben dem Fahrzeug zum
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