Vorsicht, frisch verliebt
»Geht, Kinder. Anna hat gesagt, das Frühstück wäre gleich fertig. Mädchen, nehmt bitte euren kleinen Bruder mit.«
Wenn auch widerstrebend, zogen die Kinder von dannen, und sie war allein mit Harry, dem letzten Menschen auf Erden, dessen Nähe ihr in dieser Situation willkommen war. »Alle heißt, auch du. Warum stehst du hier noch rum?«
Er sah sie durch seine Brillengläser an. »Weil meine Familie hier ist.«
»Als würde dich das interessieren.« Morgens war ihre Stimmung nie die beste, und heute war sie besonders schlecht gelaunt. »Raus. Ich muss pinkeln.«
»Mach nur.« Er setzte sich abwartend auf den Rand der Wanne.
Früher oder später wurden schwangere Frauen auch noch des letzten Restes ihrer Würde beraubt. Dies war der Moment, in dem es während dieser Schwangerschaft geschah. Als sie fertig war, hielt er ihr ein sorgsam gefaltetes Stück Toilettenpapier hin. Sie zerknüllte es, um zu beweisen, dass nicht alles im Leben so ordentlich sein konnte, wie er es sich wünschte, wischte sich ab, drückte den Knopf der Spülung, rappelte sich mühsam hoch und drehte, um sich die Hände zu waschen, immer noch, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, das warme Wasser auf.
»Ich schlage vor, dass wir miteinander reden, während die Kinder beim Frühstück sitzen. Spätestens um zwölf würde ich nämlich gerne fahren.«
»Warum willst du so lange warten? Fahr doch einfach gleich.« Sie drückte etwas Zahnpasta auf ihre Bürste.
»Wie ich gestern bereits erklärte, fahre ich nicht ohne die Kinder.«
Er konnte nicht arbeiten und sich gleichzeitig um die Kinder kümmern, das wussten sie beide, was also wollte er mit diesem Satz bezwecken? Ebenso musste er wissen, dass sie sich nicht einmal von einer ganzen Armee hoch qualifizierter Anwälte ihrer Kinder berauben lassen würde. Er versuchte also anscheinend, sie dazu zu bringen, dass sie ebenfalls die Koffer packte und mit zurück nach Zürich kam.
»Okay, nimm sie mit. Ich brauche sowieso ein bisschen Urlaub.« Sie begann sich die Zähne zu putzen, als wäre ihr die drohende Trennung von den Kindern vollkommen egal.
Im Spiegel sah sie ihn blinzeln. Das hatte er offensichtlich nicht erwartet. Außerdem bemerkte sie, dass er nicht die Zeit gefunden hatte, sich zu rasieren. Sie liebte den Geruch seiner Haut am Morgen und sehnte sich danach, ihr Gesicht in seiner Halskuhle zu vergraben.
»Also gut«, erwiderte er langsam.
In einem Anfall von Sadomasochismus legte sie die Zahnbürste auf die Seite und umfasste schützend ihren Bauch. »Außer dem hier. Darin waren wir uns ja einig. Sobald dieses Kind geboren ist, gehört es ausschließlich mir.«
Zum ersten Mal seit seiner Ankunft stotterte er verlegen. »Ich - das hätte ich nicht sagen sollen.«
»Entschuldigung nicht angenommen.« Sie spuckte ins Waschbecken und begann zu gurgeln. »Ich glaube, ich nehme meinen Mädchennamen wieder an - für mich und für das Baby.«
»Du hasst deinen Mädchennamen doch.«
»Du hast Recht. Vastermeen ist ein fürchterlicher Name.« Er folgte ihr ins Schlafzimmer und gab ihr dadurch die Chance, ihm einen ebensolchen Tiefschlag zu versetzen wie er am Vortag ihr. »Ich werde mich wieder Gage nennen. Tracy Gage hat mir gut gefallen.« Sie rückte einen Koffer an die Seite. »Ich hoffe, das Baby wird ein Junge, dann nenne ich ihn Jake. Jake Gage. Besser kann ein Kind es wohl kaum haben.«
»Den Teufel wirst du tun.«
Endlich war es ihr gelungen, die Mauer der Gleichgültigkeit zu brechen, doch die Tatsache, dass sie ihn zu diesem Zweck verletzte, befriedigte sie nicht. Nein, am liebsten hätte sie geweint. »Weshalb sollte dich das interessieren? Falls du dich daran erinnerst, ist dies das Baby, das du niemals wolltest.«
»Dass ich über diese Schwangerschaft nicht glücklich bin, heißt nicht, dass ich das Kind nicht akzeptiere.«
»Soll ich dir dafür vielleicht dankbar sein?«
»Ich werde mich nicht für meine Empfindungen entschuldigen. Verdammt, Tracy, du wirfst mir ständig vor, keine Gefühle zu zeigen, aber die einzigen Gefühle, die du wirklich von mir willst, sind die, die dir gefallen.« Sie dachte, dass er nun endlich eventuell seine Beherrschung verlieren würde, doch sofort setzte er wieder seinen reglos-kühlen Ton ein, der sie zur Raserei trieb. »Ich wollte Connor auch nicht, aber jetzt kann ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Also wird es mir logischerweise mit dem neuen Baby genauso gehen.«
»Dem Himmel sei Dank für die Logik.«
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