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Vorstadtprinzessin

Vorstadtprinzessin

Titel: Vorstadtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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Freitag war Ma nicht da gewesen, als Theo aus der Schule kam.
    Kein Zettel auf dem Küchentisch, doch ein Teller mit Schinkenbroten.
    Er erinnerte sich, dass sie am Morgen von einer zusätzlichen Chorprobe in der Kirche gesprochen hatte. Ein weiteres Lied wurde einstudiert.
    Zum Gedenken an das tote Mädchen. Irgendwas Trauriges von Bach.
    Kaum zu fassen, dass der Fund der Leiche erst vier Tage her war. Es kam ihm endlos viel länger vor.
    Theo nahm den Teller und ging durch das Wohnzimmer in den kleinen Garten hinaus. Wenigstens stand da schon einer von den Stühlen aus Schmiedeeisen. Steinschwer. Wahrscheinlich hatte Ma sich damit abgeschleppt, um die Saison endlich anfangen zu lassen.
    Er aß die Schinkenbrote und sah sich den vernachlässigten Garten an.
    Als er ein kleiner Junge war, hatte es eine Sandkiste gegeben. Seine Mutter und er hatten Förmchen mit Sand gefüllt und Kuchen gebacken.
    »Er ist kein Mädchen, Gesa«, hatte sein Vater dann gesagt, und Ma war aufgestanden und hatte sich den Sand vom Kleid geklopft.
    Theo kaute den letzten Bissen Brot und dachte, dass er mal mit Ma sprechen musste, damit sie aufhörte, Angst um ihn zu haben. Ihr war wohl gar nicht klar, wie sehr sie ihn damit belastete.
    Und Lucky sollte er sich auch vorknöpfen.
    Von ihm hatte er seit Mittwochnacht nichts gehört.
    Keine von Luckys Frauen hatte ihn und Lucky bislang trennen können.
    Doch keine war wie Leni gewesen.

    Theo saß in der letzten Bank. Die Kirche füllte sich. Seine Mutter hatte sich geirrt. Sie saßen nicht alle in ihren Gärten. Vielleicht wollten sie so ihre Anteilnahme zeigen an dem, was am Anfang der Woche im Wald geschehen war.
    Ma trug keine lila Bluse. Doch sie war hübsch in dem weißen langarmigen Shirt und dem schwarzen engen Rock.
    Alle Sänger hatten weiße Oberteile an und dunkle Röcke und Hosen. Sie standen im Altarraum und lauschten den Anweisungen eines Mannes im Anzug. Der Chorleiter vermutlich.
    Lucky hatte auf ihn aufmerksam gemacht im Garten des Lichtgrün. Doch Theo erinnerte sich nicht an den Mann. Nur das Gesicht von Tanja war ihm noch im Gedächtnis, wie sie die Brauen hochzog, wohl erstaunt, ihn zu sehen. Doch Tanja hatte in Theos Nähe gesessen.
    Sein Vater saß vorne in der ersten Reihe, auch er im Anzug, um das Ereignis zu würdigen, dabei hatte er in den vergangenen Tagen wenig wohlwollende Worte über den Chorauftritt gefunden. Heute Morgen hatte es noch einen Wortwechsel in der Küche gegeben. »Du bist ja eifersüchtig«, hörte er seine Mutter sagen, als er noch auf der Treppe war, doch Ma und Pa waren verstummt, als er eintrat.
    Eifersüchtig auf den Chor? Pa pflegte keine Hobbys. Höchstens dass er was Historisches las. Neunzehntes Jahrhundert. Kaiserreich. Bismarck.
    Lucky schob sich neben ihn auf die Kirchenbank.
    »Was tust du denn hier?«, flüsterte Theo, obwohl die Gespräche in der Kirche noch nicht verstummt waren und weitere Besucher kamen.
    »Dachte, dass ich dich hier treffe«, sagte Lucky, »tut mir echt leid mit Mittwochnacht. War nicht so vorgesehen.«
    Nein. Lucky hatte nicht vorgehabt, Leni zu treffen. Oder?
    »Da vorne sitzt die Chefin«, sagte Lucky. »Die schmeißt sich ran.«
    Theo folgte Luckys Blick, doch auch die Dame mit der Hochfrisur sagte ihm nichts. Das Türkis ihres Kleides tat ihm in den Augen weh.
    »Und da ist der alte Henze«, sagte Lucky. Sie sahen ihn an der Hand seiner Frau nach vorne gehen. Kleine Schritte. Schlurfend. Wie war Henze bis Frankfurt gekommen?
    »Ich lebe genauso lange hier wie du«, sagte Theo, »doch ich kenne kaum die Hälfte der Leute, die du kennst.«
    Lucky grinste. »Ich bin dir erstens ein gutes Jahr voraus und zweitens viel aufgeschlossener als du«, sagte er. »Die Herzen fliegen mir zu.«
    Theo lächelte. Doch es tat weh. Wenigstens war Leni nicht in der Kirche, sonst könnte er Lenis Herz zu Lucky fliegen sehen.
    Der Pastor, der ihn konfirmiert hatte, ging zum Lesepult, fing an, von der Toten im Wald zu sprechen, und verknüpfte das im Nu mit dem Titel des Chornachmittags. »Du meine Seele, singe.« Viel zu singen hatte es da im Wald wohl nicht mehr gegeben. Wie das wohl war, erwürgt zu werden, dachte Theo. Da setzten die Stimmen des Chors ein.
    »Du meine Seele singe, wohlauf und singe schön.«
    Ma stand in der zweiten Reihe der Sänger und sie sah leuchtender aus als sonst. Das hier schien ihr wirklich was zu bedeuten.
    Der Chorleiter drehte sich ihnen zu und kündigte das nächste Lied an. Aus dem Pflanzenbuch

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