Vorstadtprinzessin
kleine Junge gehabt hatte.
Davon wusste Theo nichts.
»Das weißt du alles vom alten Ellerbek?«, fragte Lucky und trat ans Fenster. »Das muss ihn all die Jahre gequält haben.«
»Viele scheinen sich hier über Jahre zu quälen«, sagte Theo.
»Da drüben tanzt ein Licht«, sagte Lucky, »vielleicht ein Irrwisch. Nach allem, was du erzählt hast, könnte doch Ellerbek da drüben herumgeistern.«
»Quatsch«, sagte Theo, »seit wann glaubst du an Gespenster?«
»Bei denen geht es doch immer um unerledigten Kram«, sagte Lucky.
»Ist ja nicht wirklich unerledigt«, sagte Theo.
»Was ist aus dem kleinen Jungen geworden?«
»Weiß keiner«, sagte Theo, »wo siehst du ein Licht?«
»Ist schon wieder weg«, sagte Lucky.
Sie sahen ein Auto, das sich ihnen und dem Wald näherte. Ein anthrazitfarbener Passat Variant, der ein Stück weit vom Haus hielt.
Theos Mutter saß auf dem Beifahrersitz.
»Jetzt wissen wir, was für ein Auto Hardy fährt«, sagte Theo.
Lucky beugte sich vor.
»Bei uns in der Werkstatt war er damit noch nicht«, sagte er. »Aber gesehen habe ich den Typ schon. Im Lichtgrün.«
»Theo«, rief Ma aus dem Flur, »bist du oben?«
Sie hörten sie die Treppe hochsteigen. Ma klopfte, als sie vor dem Giebelzimmer stand, doch sie wartete nicht auf Theos Antwort.
»Warum machst du kein Licht?«, fragte sie, als sie ins Zimmer trat.
»Vielleicht schlafe ich schon«, sagte Theo aus der Ecke am Fenster.
Seine Mutter tastete sich zum Schreibtisch vor und schaltete die Leselampe an. »Ach, du bist auch da, Lucky. Könnt ihr nicht mal den Mund aufmachen? Ihr habt mich doch im Haus gehört.«
»Und gesehen, wie du ankamst«, sagte Theo. Ihm war bitter zumute, obwohl er Ma verstehen konnte.
»Geht es dir besser, seit du das Geheimnis kennst?«
»Das mit Hardy?«
»Das mit deiner kleinen Schwester«, sagte Ma. »Weißt du, wo Pa ist?«
»Wir haben ihn schon überall gesucht«, sagte Lucky. Er fühlte sich unbehaglich. Theos Mutter sah aus, als ob sie in Tränen ausbrechen wollte.
»Hoffentlich hat er sich nichts angetan«, sagte sie leise.
»Quatsch«, sagte Theo zum zweiten Mal an diesem Abend. Doch er war nicht ganz so gelassen, wie er tat.
»Vielleicht fährt er einfach durch die Gegend. Er muss sich ja auch abreagieren«, sagte Ma.
»Ist dir das gelungen mit Hardy?«
»Was soll das, Theo«, sagte seine Mutter. »Du tust mir weh.«
»Das Auto steht in der Garage«, sagte Lucky.
»Kommt ihr mit in den Keller?«, fragte Ma. »Ich trau mich nicht allein.«
Theo legte kurz die Hand auf die Hand seiner Mutter, als sie im gleichen Moment nach dem Geländer der schmalen Kellertreppe griffen.
Der Keller sah aus wie immer. Kein Pa darin.
»Er wird doch nicht in den Wald gegangen sein«, sagte Ma. »Mein Gott. Wo dort gerade wieder ein Mord passiert ist.«
»Ich glaube nicht, dass der Mörder im Wald wohnt«, sagte Theo.
Er fing an, Spezialist für zynische Bemerkungen zu werden.
»Wir müssen ihn suchen gehen«, sagte Ma.
»Pa ist nicht der Typ, der nachts allein in einen dunklen Wald hineinläuft«, sagte Theo. Er wollte nicht in den Wald.
Theo kramte die alte Taschenlampe hervor, die er als Zehnjähriger geschenkt bekommen hatte. Sie hatte ein eher schwaches Licht, das seine Augen gut vertrugen. Die stärkere Lampe fand er nicht in der Eile, die Ma beschwor.
Ellerbeks Ligusterhecke und die Hainbuchen lagen schon hinter ihnen. In kleinen Schritten tappten sie in die Schwärze und wurden von ihr verschluckt. Lucky. Theo. Ma. Einer nach dem anderen. Die Schreie der Käuzchen klangen in ihren Ohren. Die Flügelschläge der Fledermäuse. Worauf hofften sie? Pas Hilferufe zu hören?
Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie das Absperrband im Lichtkegel der Taschenlampe erkannten.
»Lasst uns umkehren«, sagte Ma leise.
»Wenn Pa tatsächlich in den Wald wollte, dann hat er sich von der Absperrung kaum aufhalten lassen«, sagte Theo.
Ein Kreischen hoch über ihnen. Lucky hob die Lampe und leuchtete in die Krone des Baumes. Das Licht zitterte in seiner Hand.
»Der Irrwisch«, sagte Lucky, »der Irrwisch in Ellerbeks Haus.«
»Von einer Taschenlampe«, sagte Theo. Er sah nicht, dass Lucky nickte.
»Was redet ihr da?«, fragte Ma.
»Ich hab eine Ahnung, wo wir Pa finden«, sagte Theo.
Ma war in den Garten und durch alle Zimmer gegangen. Doch sie schüttelte den Kopf, als sie zu ihnen zurückkehrte.
Theo und Lucky standen vor Ellerbeks verschlossener Haustür und lauschten.
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