Vorstadtprinzessin
der zwölf Uhrenschläge gebannt. Das tote Mädchen hatte die meiste Zeit in einem Plastiksack gelegen. Auch das war am Körper nachweisbar.
Was hatte er mal gedacht? Dass er gerne einer wäre, der die Geister bannte, ehe sie ihr Unwesen trieben?
»Du hast den richtigen Riecher gehabt«, sagte seine Kollegin und setzte sich auf die andere Seite des Schreibtisches. »Ich habe geglaubt, sie sei nur ein weiteres Au-pair, das die Lust verloren hat.«
Er hätte etwas darum gegeben, wenn Imke den richtigen Riecher gehabt hätte oder Petersen. Was hatte der alte Kommissar gesagt? »Lassen Sie mal diese Hortensia links liegen.«
Am Nachmittag würde er die Hamburger Gastfamilie fragen, ob das Mädchen ein Instrument gespielt habe, und selbst überrascht sein von der Frage, die er da stellte. Nein. Tensi hatte kein Instrument gespielt. Sie sei unmusikalisch gewesen. Sie hatte keine Geige, keine Querflöte dabeigehabt und auch keine Gitarre, wie Sarah sie wohl mit sich herumgetragen hatte, um dann tot im Wald zu liegen.
Der Mann aus dem Ort, der die tote Tensi gefunden hatte, stand unter Schock. Er sei in den Wald gegangen, um Liedtexte zu lernen, hatte er gesagt und nach dieser Aussage um eine Beruhigungsspritze gebeten.
Lüttich würde sich diesen Nils Freygang einmal vornehmen.
Hortensia war erwürgt worden. Dunkle Halbmonde an ihrem Hals. Wie bei Sarah. Eine Serie, dachte Lüttich. Scheiße noch mal.
Rotweiße Absperrbänder im Wald. Silberblaue Polizeiautos davor.
Früher hatte es dort Tümpel gegeben, in denen ein Gummistiefel Größe 30 versank. Ein tiefes Loch, das ein großer Junge für einen kleinen grub.
Heute gab es zwei tote Mädchen im Wald.
»Du gehst mir nicht aus dem Haus«, hatte Theos Mutter gesagt.
»Ich bin weder blond noch ein Mädchen«, sagte Theo.
Keiner konnte glauben, was im Wald geschehen war. Sie alle hofften, dass es bald einen Schuldigen gäbe, der dafür zur Verantwortung gezogen wurde, dass er ihren Frieden störte.
Lüttich lief mit einer Schar von Kollegen durch den Ort. Doch es kam nichts dabei heraus. Hortensia aus Blankenese schien wie vom Himmel in den Wald gefallen zu sein. Ähnlich wie Sarah aus Harburg.
Ein Ungeheuer, sagten die Leute. Keiner von uns.
»Ich habe immer Angst um dich gehabt«, sagte Theos Mutter. Sie hatte es schon oft gesagt. Lenis Vater bekam von all dem erst mal nichts mit. Er war geschäftlich in Genf. Er hätte seine Tochter sonst eingesperrt, um sie zu schützen. Leni mit dem goldenen Haar.
Die Spuren führten zu einem abgelegenen Schuppen des Ponyhofs, der schon seit Jahren nicht mehr genutzt wurde. Das Gerät, das dort noch stand, war längst vergessen worden.
Der schwarze Plastiksack mit der toten Hortensia hatte zwischen einer rostigen Egge und alten Mistgabeln gelegen. Auf dem feuchten Flecken Erde schwärmten noch immer die Pferdebremsen. Ein paar Kinder, die in den Ferien auf dem Ponyhof ritten, erinnerten sich an den süßlichen Geruch, der ihnen beim Spielen in die Nase gestiegen war. Erst jetzt war klar, dass das der Geruch einer Leiche gewesen war. Irgendwann am Montag musste jemand den Sack aus dem Schuppen geholt und in den Wald getragen haben. Eine kleine Last. Tensi war ein zierliches Mädchen gewesen. Mit hellen Haaren und hellen Augen.
Kein Zeuge meldete sich, dem etwas aufgefallen wäre.
Den wenigen Spaziergängern, die sich am Sonntag für den unwegsamen Gang an den Tümpeln des Waldes vorbei entschieden hatten, war der Anblick der Toten erspart geblieben.
Leni hatte es Max leicht gemacht. Nach Tabletten gefragt, die geiler wirkten als die Veilchenpastillen, kaum dass Max und sie an einem der kleinen Tische mit den karierten Decken Platz genommen hatten.
»Hast du keine Angst überzuschnappen?«, hatte Max gefragt.
Er war wirklich kein überzeugender Verkäufer seiner Ware.
»Ich will einfach mal den Wahnsinn erleben«, hatte Leni gesagt und dazu Teigtaschen gegessen, die von der Mutter des portugiesischen Wirtes mit Muscheln und Krabben gefüllt worden waren. Doch die Köstlichkeit war an Leni und Max verschwendet. Max wunderte sich nur über den fischigen Geschmack. Er zog Fleisch vor.
Er hatte zwei Schablonen zu je zwölf weißen Tabletten aus der Tasche seiner Jeansjacke gezogen und ihr die unter dem Tisch zugesteckt.
»Die musst du aber bezahlen«, hatte er gesagt.
»Klar«, hatte Leni geantwortet, »wir gehen gleich zum Automaten.« Wenigstens hatte Paps die Kreditkarte noch nicht sperren lassen.
»Bloß nicht
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