Vorstadtprinzessin
»Die ist in einer Viertelstunde«, sagte er, »geh schon mal ins Tre Castagne rüber.«
Sigi saß an einem der kleinen Tische im hinteren Teil des Lokals und las die Zeitung. Er sah aus, als käme er allmählich wieder zu Kräften.
Sie bestellten beide eine große Cola. Als Lucky das Glas anfasste, sah Theo, dass er noch Schmieröl unter den Nägeln hatte. Gegen Luckys Pranken hatte er Hände wie ein Mädchen.
»Hast du von Leni gehört?«, fragte Theo.
»Die liegt mit einer Erkältung im Bett. Das hat mir ihr Vater gesagt.«
»Hast du ihn mal auf die Drogen angesprochen?«
»Hab ich. Er hat total dichtgemacht, als ich das sagte.«
»Verdrängung«, sagte Theo. »Dazu neigen Väter.«
Tanja kam zur Tür herein. Auch eine, die herumhing und nichts mit sich anfangen konnte. Wie Leni, dachte Theo. Doch Tanja war vier Jahre älter als Leni. Da wog es schwerer.
»Mach mir einen großen Latte«, rief sie Sigi zu. Tanja schien jeden zu duzen. Sogar den Chorleiter, hatte Theos Mutter gesagt.
Tanja setzte sich zu ihnen, ohne lange zu fragen. Irgendwie fing sie an, etwas Dreistes zu kriegen. »Habt ihr gehört, dass Jan Ellerbek zurückgekommen sein soll?«, fragte sie. »Hast du ihn gesehen, Theo?«
Zum ersten Mal fiel es Theo auf, dass Tanja auch einen guten Blick auf Ellerbeks Haus hatte. »Nein. Du?«, fragte er.
»Ich sehe nur dich gelegentlich zu Ellerbek schleichen«, sagte Tanja. »Und dich auch.« Sie sah Lucky an. »Wie kommt ihr eigentlich da rein?«
Theo schwieg. Wieso war er nicht darauf gekommen, dass Tanja den lieben langen Tag nichts zu tun hatte?
»Wir räumen hinterm Haus auf«, sagte Lucky. »Liegt noch Schrott rum, den ich gut für Autobasteleien gebrauchen kann.«
»Ach so«, sagte Tanja. »Ich habe gedacht, ihr geht ins Haus.«
»Siehst du«, sagte Lucky, »so kann man sich irren.«
Theo nickte. Verdammt schlau von Lucky.
Später, als er Lucky noch bis zur Werkstatt brachte, fragte Theo, ob da wirklich Schrott liegen könnte.
»Wir sollten mal ums Haus herumgehen«, sagte Lucky.
»Könntest du dir vorstellen, dass dein Vater heimlich eine Frau trifft?«
Theo sah von dem Buch über die Achtundsechziger-Bewegung auf. Von seinem Lehrer empfohlen. Auch ein Abschied von der Vaterwelt. »Warum glaubst du das?«
»Weil er sich mir entzieht«, sagte seine Mutter.
»Du hast dich doch ihm entzogen.«
»Das ist nicht wahr«, sagte Ma. »Du interpretierst zu viel da hinein.«
»Ich weiß«, sagte Theo, »du hattest keinen Sex mit diesem Hardy.«
Doch er fand auch, dass sein Vater sich verändert hatte, und in manchen Momenten machte ihm das Angst.
»Vielleicht denkt er einfach über sein Leben nach und zieht sich darum zurück«, sagte Theo, der angehende Philosoph.
Ein Gespräch mit Pa fiel ihm ein. »Glück ist kein Kriterium«, hatte sein Vater gesagt, »es geht doch nur um Funktionieren.« Mit diesen dämlichen Ansichten ließ sich eine Lebenskrise kaum vermeiden.
»Wenigstens hat es keinen weiteren Mord mehr gegeben«, sagte Ma.
»Das ist ein merkwürdiger Gedankensprung«, sagte Theo. »Als ob du für möglich hältst, dass Pa was mit den Morden zu tun hat.«
Ma sah ihn erschrocken an. »Das habe ich nicht gemeint.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine Frau trifft«, sagte Theo. »Hat er nicht gesagt, dass er ins Muse um der Arbeit wollte?«
Leni hatte Schnupfen, doch das war nicht der Grund, warum sie im Bett blieb. Sie fühlte sich scheußlich, seit ihr nun auch die Veilchenpastillen ausgegangen waren. Schlapp und zittrig.
»Komisch, dass du gar kein Fieber hast«, sagte die Haushälterin und nahm das Thermometer, um es zu desinfizieren.
Ihr Vater legte ihr die Hand auf die Stirn und fand sie eher zu kühl als zu heiß. »Nimmst du Drogen, Lenchen?«, fragte er.
Nicht mehr, Paps, dachte Leni. Das ist das Problem. Sie schüttelte den Kopf und spürte einen heftigen Schwindel.
Lenis Vater fragte die Hansen nach einem Arzt im Ort.
Die Haushälterin kannte nur den alten Bunsen. Der war Paps nicht gut genug. Er dachte daran, einen Spezialisten kommen zu lassen. Doch einen Spezialisten wofür? Vielleicht hatte Lucky doch recht gehabt.
Theo stand vor der Garage und pumpte die Reifen seines Fahrrades auf, als er Tanja aus ihrem Haus kommen sah. Ziemlich aufgerüscht. Zu früh am Abend für die Disko und zu dick aufgetragen fürs Tre Castagne.
Vielleicht gab es am Sonntagabend noch irgendwo einen Wettbewerb für die Schönste im Dorf? Tanja drängte doch auf die
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