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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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den Kopf. »Da sind keine Menschen. Die Türme sind Maschinen, keine Behausungen. Sie sammeln Strahlung aus der Umgebung und pumpen sie nach unten.«
    »Nach unten?«
    »In den hohlen Teil der Insel, wo die Farmen sind.«
    »Eure Farmen sind unterirdisch?« Hier oben gab es eine Menge fruchtbares Land, ganz zu schweigen vom Licht der Sonne.
    Nein, sagte sie. Vox sei entworfen worden, um unwirtliche oder wechselnde Umgebungen im Weltenring zu durchfahren. Alle Ringwelten seien bewohnbar, aber die Bedingungen seien von Planet zu Planet völlig andere; die Nahrungsquellen des Archipels müssten gegen wechselnde Tageslängen oder Veränderungen im Ablauf der Jahreszeiten gewappnet sein, gegen heftige Schwankungen von Temperatur, Sonnenlicht oder ultravioletter Strahlung. Auf lange Sicht sei oberirdische Landwirtschaft so unmöglich wie an Deck eines Flugzeugträgers. Der Wald sei hier zwar üppig, aber nur, weil Vox in den letzten hundert Jahren in freundlichem Klima geankert hatte. (»Was sich ändern kann, wenn wir zur Erde überwechseln.«) Ursprünglich seien diese Inseln einmal nackte Platten aus künstlichem Granit gewesen; der Mutterboden habe sich über die Jahrhunderte angesammelt und sei von den verwehten Samen zweier Nachbarwelten kolonisiert worden.
    »Können wir denn dort runter? Zu den Farmen?«
    »Ja. Aber es wäre nicht klug.«
    »Warum? Sind die Farmer gefährlich?«
    »Ohne Netzwerk? Gut möglich. Es ist schwer zu erklären, aber das Netzwerk funktioniert auch als soziale Kontrollinstanz. Bevor es nicht wieder repariert ist, sollten wir die weniger Gebildeten meiden.«
    »Die Farmleute werden also zu Rüpeln, wenn man sie von der Leine lässt?«
    Treya blickte mich beinahe verächtlich an. »Urteile nicht leichtfertig über Dinge, die du nicht verstehst.« Sie rückte ihr Gepäck zurecht und brach das Gespräch ab, indem sie sich ein paar Schritte Vorsprung verschaffte. Ich folgte ihr den Hügel hinunter und zurück in den schattigen Wald. Ich versuchte abzuschätzen, wie wir vorankamen, indem ich mir die relativen Positionen der schwarzen Türme merkte, wann immer wir eine offene Anhöhe überquerten, und kam zu dem Ergebnis, dass das windwärtige Ufer noch ein, zwei Tagesmärsche entfernt war.
    Im Laufe des Nachmittags schlug das Wetter um. Schwere Wolken zogen auf, gefolgt von kaltem Wind und Regenschauern. Wir marschierten weiter, bis uns das Tageslicht abhandenkam. Dann suchten wir ein schützendes Wäldchen und spannten im dichten Astwerk eine wasserdichte Plane aus. Es gelang mir, ein kleines Feuer zu entfachen.
    Die Nacht brach an, und wir kauerten unter der Plane. Es roch nach brennendem Holz und feuchter Erde. Treya summte vor sich hin, während ich das Essen aufwärmte. Es war dasselbe Lied, das sie in der Flugmaschine gesummt hatte, als wir noch nichts von dem Angriff geahnt hatten. Ich fragte sie noch einmal, wie es kam, dass sie ein zehntausend Jahre altes Lied kannte.
    »Es gehörte zu meinem Training. Tut mir leid, ich wusste nicht, dass es dich stört.«
    »Tut es nicht. Ich kenne das Lied. Ich habe es zum ersten Mal in Venezuela gehört, während ich auf meinen nächsten Putzjob auf irgendeinem Tanker wartete. Eine kleine Bar, die amerikanische Songs spielte. Wo hast du es gehört?«
    Sie blickte am Feuer vorbei ins Dunkel zwischen den Baumstämmen. »Auf einem Computer in meinem Schlafzimmer«, kam es leise über ihre Lippen. »Meine Eltern waren ausgegangen, also habe ich richtig aufgedreht und getanzt.«
    »Wo war das?«
    »Champlain.«
    »Champlain?«
    »New York State. Oben an der kanadischen Grenze.«
    »Champlain auf der Erde ?«
    Sie sah mich befremdet an. Dann riss sie die Augen auf und legte die Hand auf den Mund.
    »Treya? Geht es dir gut?«
    Offenbar nicht. Sie griff nach ihrem Rucksack, stocherte darin herum, zog den Medikamentenspender heraus und drückte ihn gegen den Unterarm. Dann, als sie wieder normal atmete, sagte sie: »Tut mir leid. Das war ein Fehler. Bitte frag mich nicht nach diesen Dingen.«
    »Wenn du mir erzählst, was los ist, kann ich vielleicht helfen.«
    »Nicht jetzt.« Sie rollte sich neben dem Feuer zusammen und schloss die Augen.
    Als der Morgen anbrach, hatte sich der Regen in Dunst und Nebel verwandelt. Der Wind hatte sich gelegt und uns eine milde Gabe an reifen Früchten gepflückt: ein bequemes Frühstück.
    Die Rauchsäule von Vox-Core war in der trüben Suppe nicht zu sehen, aber zwei der finsteren Türme waren so nahe, dass sie uns als

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