Vortex: Roman (German Edition)
wütenden Nicken beendete.
»Wir befinden uns gerade ziemlich genau in der Mitte der Passage«, sagte Allison zu mir. »Das Netzwerk veranschlagt noch etwa zwanzig Minuten bis zum Transit, falls er denn stattfindet. Ich bleibe hier oben, bis es passiert.«
Welchen Sinn sollte das haben? Vox würde zur Erde durchkommen oder nicht, ob wir nun hier oben auf diesem künstlichen Plateau waren oder unten, wo es bestimmt weitaus komfortabler war.
»Ich will es sehen, mit meinen eigenen Augen«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Und du auch, habe ich ihnen gesagt. Was ich will, zählt nämlich nicht, aber du bist ein Aufgenommener – da müssen sie aufpassen.«
Also brachten sie uns zu einem verglasten Balkon unterhalb des Landeplatzes, immer noch in schwindelerregender Höhe über der Stadt, und da standen wir nun wie zwei Vogelscheuchen in unseren neuen, blauen Overalls und starrten auf den Vox-Archipel und die ferne See, die unter dem kleinen äquatorianischen Mond schimmerte. Rauch stieg aus der Ebene auf, wo die Farmer starben (oder längst gestorben waren), und trieb nach achtern. Der Himmel vor uns war sternenklar. Ein Jäger nach dem anderen kehrte zur Basis zurück.
Allison wandte sich an den nächststehenden Soldaten unserer Eskorte (sie übersetzte jeweils ihre Fragen und seine Antworten für mich). Ob er glaube, dass Vox tatsächlich zur Erde durchkomme? Ja, er sei sich sogar sicher, die Prophezeiungen hätten sich erfüllt, die Aufgenommenen seien unter uns. Was denn mit den Aufgenommenen sei, die man schon vor der Bombardierung nach Vox-Core gebracht hatte? Pech – Pech, dass die voxische Abwehr einen Flugkörper verfehlt hätte, Pech, dass die Bombe Vox-Cores Infrastruktur empfindlich getroffen hätte, und ganz großes Pech, dass sich die Aufgenommenen so nahe am Ground Zero befunden hätten.
Ich wusste nicht, wie viele Menschen sie in der äquatorianischen Wüste aufgelesen hatten, aber ich ging davon aus, dass der Hybridjunge Isaac Dvali, möglicherweise seine Mutter und vielleicht auch einige völlig Unbeteiligte darunter gewesen waren. Hatte das Geschoss sie alle getötet?
»Alle mit einer Ausnahme«, übersetzte Allison.
»Wer hat überlebt?«
»Der Jüngste.«
Der Junge also. Isaac.
»Aber er wurde schwer verletzt. Er schwebt in Lebensgefahr.«
»Und das genügt, um die Aufmerksamkeit der Hypothetischen zu erregen?«, fragte ich. »Du meinst, sie öffnen einen geschlossenen Torbogen und bringen uns zur Erde, nur weil sie einen verletzten Jungen und einen verwirrten Ex-Seemann wiedererkennen?«
Allison musste die Frage nicht beantworten. Die Antwort kam aus dem Himmel – in Form eines grünen Lichts.
3.
Über dem äquatorianischen Meer war es Nacht gewesen. Auf der Erde war es Tag.
Der Übergang war genauso abrupt und genauso unspektakulär wie damals, als ich mit einem rostigen Frachter von Sumatra nach Äquatoria geschippert war. Ich kam mir plötzlich etwas schwerer vor – die Erde hat ein wenig mehr Masse als Äquatoria –, aber sonst war es, als ob man mit einem Lift nach oben fährt. Die anderen Veränderungen jedoch waren weniger subtil.
Wir blinzelten in fahles Tageslicht. Jenseits von Vox war das Meer flach und ölig bis zum Horizont. Der Himmel hatte einen unangenehmen Grünton.
»Gott, nein «, flüsterte Allison.
Die Soldaten glotzten mit weit aufgerissenen Augen.
»Gift«, sagte sie. »Alles Gift …«
Die Sirenen verstummten, und in der Stille standen die Soldaten mit geistesabwesenden Mienen da, als lauschten sie Stimmen, die ich nicht hören konnte – und vermutlich taten sie das auch, konsultierten das Netzwerk und ihre Vorgesetzten.
Einer von ihnen sagte etwas zu Allison. Sie übersetzte: »Wir müssen nach unten, und diesmal gibt es keine Ausnahmen. Die Stadt wird dicht gemacht.«
Bevor wir den Balkon verließen, warf ich noch einen letzten Blick auf die Ebene hinter den Stadtmauern. Die Leichen der Farmer lagen auf dem verkohltem Grasland, gebadet in grünes Tageslicht. Dazwischen einige wenige Überlebende, die von hier oben wie Schlafwandler wirkten. Ich fragte Allison, ob man sie nicht wenigstens als Gefangene in die Stadt holen könnte.
»Nein«, erwiderte sie.
»Aber wenn die Luft doch giftig ist …«
»Sei dankbar, dass sie uns gerettet haben.«
»Da draußen sind womöglich noch Hunderte von Menschen. Du willst sie alle sterben lassen?«
Sie nickte.
»Wer immer hier die Verantwortung trägt, kann er das mit seinem Gewissen
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