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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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nachdenklich. »Damit kann ich etwas anfangen.«
    Das Essen kam. Bose stürzte sich auf sein Club-Sandwich, während Sandra in ihrem schlaffen Cobb Salad herumstocherte und darauf wartete, dass er irgendetwas Erhellenderes sagte als »Damit kann ich etwas anfangen«.
    Nach einer Weile putzte er sich einen Klecks Mayonnaise von der Oberlippe und sah sie an. »Mir gefällt, was Sie gesagt haben. Es ergibt Sinn. Es ist nicht dieses Psychiater-Blabla.«
    »Danke. Aber – quid pro quo. Sie schulden mir eine Erklärung.«
    »Hier, nehmen Sie.« Er schob ihr einen braunen Briefumschlag über den Tisch. »Die Fortsetzung des Textes. Diesmal keine Abschrift, sondern eine Fotokopie des Originals. Ein bisschen schwer zu entziffern, aber vielleicht aufschlussreicher.«
    Der Umschlag war bemerkenswert dick. Nicht dass Sandra die Arbeit gescheut hätte – ihre berufliche Neugier war längst geweckt –, aber sie ärgerte sich, dass er immer noch mit etwas hinter dem Berg hielt. »Danke«, sagte sie, »aber …«
    »Später können wir ungestörter reden. Sagen wir, heute Abend? Können Sie heute Abend?«
    »Ich kann jetzt . Ich bin noch nicht fertig mit Essen.«
    Bose senkte die Stimme. »Das Problem ist, Sandra, dass wir beobachtet werden.«
    »Wie bitte?«
    »Hinter den Plastikpflanzen. Die Frau in der Nische.«
    Sandra schielte hinüber und hätte beinahe laut aufgelacht. »Ach, Gott!«, flüsterte sie. »Das ist Mrs. Wattmore. Von der State Care. Eine Stationsschwester.«
    »Sie ist Ihnen hierher gefolgt?«
    »Sie steckt zwar überall ihre Nase rein, aber das hier ist ein Zufall, da bin ich mir sicher.«
    »Nun, sie hat sich jedenfalls sehr für unsere Unterhaltung interessiert.« Zur Illustration bog er seine Ohrmuschel kurz nach vorne.
    »Typisch!«
    »Also – heute Abend?«
    Oder wir suchen uns einen anderen Tisch, dachte Sandra. Oder reden einfach nur noch leise. Aber sie schlug nichts dergleichen vor, denn es war gut möglich, dass er lediglich einen Vorwand suchte, sie wiederzusehen, und sie war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. War Bose ein Kollege, ein Kollaborateur, ein potenzieller Freund, vielleicht sogar (wie Mrs. Wattmore fraglos vermutete) ein potenzieller Liebhaber? Die Situation war unübersichtlich. Was sie wiederum aufregend machte. Sandra hatte sich nicht mehr mit einem Mann eingelassen, seit sie sich von Andy Beauton getrennt hatte, ebenfalls State-Care-Arzt, dem man im letzten Jahr sang- und klanglos gekündigt hatte. Seither hatte sie sich von ihrer Arbeit auffressen lassen. »Okay«, sagte sie. »Heute Abend.« Sein Lächeln stärkte ihr Selbstvertrauen. »Aber mir bleibt noch eine Stunde Mittagspause.«
    »Reden wir über etwas anderes.«
    Und so erzählten sie sich ihre jeweilige Lebensgeschichte.
    Bose: Geboren in Bombay von einer Mutter, die unglücklich mit einem indischen Windturbinen-Ingenieur verheiratet war, dort gelebt bis zum Alter von fünf Jahren. (Was den Anflug eines Akzents und sein Benehmen erklärte, das einen Tick vornehmer war als das eines durchschnittlichen Texaners.) Mit seiner Mutter nach Houston gezogen, dort die Grundschule besucht und sich später, beflügelt von Mutters »geschärftem Sinn für Ungerechtigkeit«, für die Polizeischule qualifiziert, und das zu einer Zeit, da das Houston Police Department von Bewerbern praktisch überrannt wurde. Er sprach über sich selbst mit einem Humor, der Sandra beeindruckte, weil er für einen Polizisten untypisch war (aber vielleicht waren ihr auch nur die falschen Polizisten begegnet). Im Gegenzug lieferte sie ihm die Kurzfassung – oder eher eine sorgfältig redigierte Version – von Sandra Cole: ihre Familie in Boston, medizinische Hochschule, ihr Job in der State Care.
    »Warum haben Sie diesen Beruf gewählt?«, fragte er.
    »Weil ich Menschen helfen wollte.« Sie erwähnte nicht den Selbstmord ihres Vaters oder das, was ihrem Bruder Kyle zugestoßen war.
    Als schließlich der Kaffee kam, wurde die Unterhaltung zu reinem Geplänkel, und als Sandra das Restaurant verließ, wusste sie immer noch nicht, ob sie dieses Treffen als professionellen Gedankenaustausch oder als erotisches Taxieren betrachten sollte. Oder was von beidem ihr lieber war. Sie fand Bose attraktiv – zumindest äußerlich. Nicht nur wegen der blauen Augen und der teakfarbenen Haut, es war die Art, wie er redete – als finde das Reden an einem stillen, soliden Ort tief in seinem Innern statt. Und er schien, falls sie das nicht

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