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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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Mindestlohn bekam, von der er sich gerade mal die Miete für ein lausiges Zimmer leisten konnte.«
    »Das weiß ich auch nicht. Vor Kurzem dachte ich noch, du könntest mir weiterhelfen.«
    Aber sie hatte keine Antworten. »Was, wenn wir völlig auf dem Holzweg sind? Wenn es eine Erklärung gibt, die … die so verrückt ist, dass wir nicht drauf kommen?«
    »Dann sitzen wir hier und tun, was wir tun.«
    Die Frau hinter dem Tresen, die Bose zum Bleiben ermuntert hatte, machte Feierabend. Sandra sah gerade noch, wie sie in ihrem klapprigen blauen Honda davonfuhr. Sie wurde von einem jungen Kerl abgelöst, der Ausschlag im Gesicht und einen nervösen Tick hatte. Der Manager steckte hin und wieder den Kopf aus seinem Büro und beäugte sie, bis Bose aufstand und etwas Beschwichtigendes sagte. Er bestellte zwei Donuts, die unberührt blieben.
    Der nächste Bus kam fahrplanmäßig. Der Regen fiel immer noch in Sturzbächen, überflutete den Rinnstein, spülte den dünnen Ölfilm vom Asphalt. Diesmal stiegen vier Leute aus – erneut Schichtarbeiter, dachte Sandra. Orrin Mather war nicht dabei. Drei liefen nach links und suchten Schutz. Einer ging unbekümmert nach rechts; er schien sich nichts aus dem Regen zu machen.
    Sandra wandte sich vom Fenster ab und bemerkte, dass Bose nach wie vor angestrengt durch die Scheibe starrte. »Was ist?«
    »Der junge Kerl. Der da allein geht.«
    Jung, ja. Ein schlacksiger junger Mann im schwarzen Poncho – er hatte etwas Klobiges in einer Plastiktasche dabei.
    »Verdammt«, sagte Bose.
    Jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. »Du meinst, das ist Findleys Sohn? Du meinst, das ist Turk Findley?« Der Junge erreichte die Straßenecke und ging nach Süden, Richtung Lagerhaus. »Was machen wir jetzt?«
    Bose stieß den Stuhl zurück. »Bleib hier. Leg dir das Handy zurecht. Ruf mich an, wenn du Orrin siehst. Oder sonst was, das ich wissen muss. Und rühr dich nicht vom Fleck, bis ich mich melde.«
    »Bose!«
    »Ich liebe dich«, sagte er leise und zum ersten Mal.
    Noch bevor sie den Mund zubekam, war er aus der Tür. Sie blickte ihm durch das Fenster nach. Ohne sich um die Sintflut zu scheren, querte er den Parkplatz des Lokals und folgte dem Zaun parallel zur Straße.
    Der Bursche hinter dem Tresen musste ihre verdatterte Miene bemerkt haben. »Ma’am?«, fragte er. »Möchten Sie vielleicht einen Kaffee oder sonst etwas?«
    »Verrückt«, sagte sie laut.
    »Ma’am?«
    »Nicht Sie.«

26
    ALLISON
    1.
    Ich wartete zwischen den Militärmaschinen hoch oben über der Stadt.
    Ich hatte eine verschlungene Route zu den Docks gewählt: die Steuerbord-Terrassen hinauf und durch die schattigen Korridore der Parklandschaft, in denen sich die kleine Treya so gut ausgekannt hatte. Jeder Garten, jeder Torweg weckte Erinnerungen – ihre Erinnerungen. Es fiel schwer, nicht zu trauern. Vox lag im Sterben, und ich konnte nichts dagegen tun – konnte nichts für meine einstigen Freunde oder für meine Familie tun, die mich verstoßen hatte, oder für die Stadt, die ich geliebt hatte. Ich konnte nur meine Erinnerungen und Befürchtungen an einen Ort mitnehmen, der sicherer war und von dem uns noch Welten trennten.
    Der Militärflughafen lag auf einer weitläufigen, offenen Terrasse und war durch ein unsichtbares elektrostatisches Dach gegen die toxische Atmosphäre geschützt. Die Maschinen und ihre Docks standen wie Pflanzen in schier endlosen parallelen Reihen, eine riesige schimmernde Hightechplantage. Weit und breit kein Wartungs- und Flugpersonal, alle waren jetzt zu Hause bei ihren Angehörigen. Meine Schritte klangen wie Tropfen in einer großen Höhle.
    Ich fand einen unverdächtigen Platz am Fuß eines Lichtmastes, setzte mich auf eine Strebe und wartete. Unangenehm viel Zeit verstrich. Wo blieb Turk? War er aufgehalten worden? Hatte er sich anders entschieden? Der Netzknoten hatte mittlerweile bestimmt die Hirnregionen infiltriert, die für Liebe und Loyalität, Bedürfnisse und Wünsche zuständig waren, und mit jedem Atemzug wurde das neurale Netzwerk subtiler und effizienter. Im Hallraum des »medialen präfrontalen Kortex« sang der Coryphaeus seinen leisen, verlockenden Refrain.
    Was, wenn Turk nicht kam? Die Frage war schnell beantwortet: Ich würde hier sterben. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden die Maschinen der Hypothetischen mit Vox-Core genauso verfahren wie mit unserer Vorausabteilung draußen auf der antarktischen Ebene. Sie würden alles und jeden skelettieren und

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