Vortex: Roman (German Edition)
Füßen. Ich warf mich herum und rannte durch die Stahltür in den strömenden Regen. Die Türöffnung war ein Vorhang aus Flammen und Rauch, ein halb durchsichtiger Vorhang – sodass ich den Nachtwächter dahinter brennen sah. Ich sah, wie er laufen wollte, aber seine Füße gehorchten ihm nicht mehr. Er schien kurz zu tanzen, bevor er in die lodernde Flüssigkeit stürzte. Der trockene Fußbodenbelag brannte wie Zunder.
Ich dachte an Allison, die unterwegs zu den Docks war. Vielleicht war sie schon dort und wartete. Wartete auf mich, während der Rest von Vox auf ein Ticket in den Himmel wartete.
»Sie müssen die Last nicht alleine tragen«, sagte Oscar. Er hörte sich so nachsichtig und unerschütterlich an wie vor langer Zeit der Pastor in der First Baptist Church. »Wir werden sie mit Ihnen teilen, Mr. Findley. Der Coryphaeus wird sie mit Ihnen teilen, sobald Ihr Interface komplett ist.«
Das limbische Implantat tat seine Arbeit; ich war ernsthaft versucht, Oscars »rettende Hand« zu ergreifen, eben so wie damals in der First Baptist Church, als ich noch ein Kind war und meine abgedroschenen »Sünden« beichtete. Leg deine Last ab, junger Mann, leg sie deinem Erlöser vor die Füße. Schon als Kind begriff ich, warum so viele weinende Seelen zum Altar pilgerten. Der Coryphaeus kannte mich, er kannte meine Worte und Werke. Meine Sünden waren auch seine Sünden.
Oscar betrachtete mich eingehend. »Aber Sie sind noch nicht bereit, diesen letzten Schritt zu tun. Bedingungslose Vergebung durch Menschen wie Ihresgleichen … Sie wollen Vergebung, aber Sie wollen Sie nicht annehmen.«
Eine Vergebung, die so lange anhielt, wie die Hypothetischen brauchten, um hier aufzukreuzen … Oder lag ich schon wieder falsch? Vielleicht wurde Vox ja wirklich erlöst, vielleicht lebte Vox bis in alle Ewigkeit. Da war etwas in meinem Kopf, das sich genau daran festhielt. »Vielleicht gibt es Sünden, die man nicht vergeben sollte«, sagte ich.
»Der Mann, den Sie getötet haben, ist seit zehntausend Jahren tot. Sich an eine einzige tragische Fehleinschätzung zu klammern, ist unnütz und sinnlos.«
»Ich rede nicht unbedingt von meiner Sünde.«
»Ach, von wessen Sünde denn?«
»Das war mehr als Mord, Oscar. Der Tod so vieler Farmer. Das war ein Genozid.«
Was immer Oscar in meinem Gesicht sah, es ließ ihn zusammenzucken. Er funkelte plötzlich vor Ungewissheit. »Die Hypothetischen hätten sie niemals zu sich aufgenommen. Ihr Tod war praktisch unvermeidlich.«
»Diese Menschen waren nur hier, weil Vox sie zu Sklaven gemacht und mit hierhergebracht hat.«
» Notwendigkeit brachte sie hierher.«
»Jemand hat darüber entschieden.«
»Wir alle haben darüber entschieden, wenn Sie so wollen.«
»Und ihr alle habt euch vergeben, nehme ich an.«
»Der Coryphaeus hat uns vergeben. Der Coryphaeus ist unser Gewissen.«
»Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, Oscar, aber kommt Ihnen gar nicht der Gedanke, ein Gewissen, das Massenmord rechtfertigt, könnte defekt sein?«
Er starrte mich zornig an. Dann zuckte er mit den Schultern. »Sie leben noch nicht lange mit Ihrem Netzknoten, Mr. Findley. Bald werden Sie uns verstehen.«
Und genau das machte mir Angst …
»Doch nichts davon ist jetzt mehr wichtig«, sagte er. »Kommen Sie einfach mit.«
Ich wollte mitgehen. Mein ganzes Erwachsenenleben hatte unter dem Schein eines brennenden Menschen gestanden. Ich sehnte mich danach, dem Coryphaeus meine Sünden vor die Füße zu legen. Und sollte ich es mit Vergessen oder Tod bezahlen, so wäre es doch nur späte Gerechtigkeit. Ich könnte reinen Herzens sterben.
Verdiente ich das? Reinen Herzens zu sterben?
»Ich bin lieber bei Allison«, sagte ich. »Wenn es so weit ist.«
»Warum ist sie dann nicht hier? Ich weiß, Sie fühlen sich für Treya verantwortlich, aber sie ist geistig verwirrt, ein leeres Gefäß. Selbst ihre Zuneigung ist künstlich. Sie sind jetzt vernetzt – erkennen Sie das nicht?«
Was ich erkannte, ging ihn nichts an. »Gehen Sie, Oscar«, sagte ich. »Gehen Sie zu Ihrer Familie.«
Er wollte protestieren, doch dann machte er den Mund wieder zu und nickte resignierend. Vielleicht sah er, wie sehr ich ihn beneidete, und ging taktvoll darüber hinweg. Er stand auf. »Nun dann. Auf Wiedersehen, Mr. Findley.«
Die Tür schloss sich hinter ihm. Ich wartete, bis ich sicher sein konnte, dass er nicht mehr in der Nähe war. Es war höchste Zeit zu gehen. Aber warum tat ich mir das an? Warum ließ ich den
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