Vortex: Roman (German Edition)
Vater darin abwickelte, waren schuld am Unglück meiner Mutter und an meiner eigenen totalen Demütigung und Erniedrigung. Und so kam der Gedanke, dieses Gebäude niederzubrennen, wie eine Offenbarung daher. Es ging um Rache, ja, aber auch um eine Art Reinigung. Ich hatte gelesen, dass man auf dem Schlachtfeld Wunden ausbrannte, um Blutungen zu stillen. Nun, ich blutete –und dieses Gebäude war meine Wunde.
Regenwasser gurgelte in den Gully zu meinen Füßen und ließ Papierfetzen, Zigarettenkippen und ein benutztes Kondom stranden, das so bleich und schlaff war wie eine tote Qualle. Der Nachtwächter machte seine Runden, hinter den hoch gelegenen Fenstern schwankte der Schein seiner Taschenlampe. Als er (wie ich überschlug) auf der anderen Seite des Gebäudes war, lief ich zu den Verladerampen und war mit zwei Sätzen die Stufen zum Hintereingang hinauf. Neben der olivfarbenen Stahltür war ein Doppelschloss; man brauchte einen physischen Schlüssel, um das numerische Tastenfeld freizulegen. Den Schlüssel hatte ich aus der obersten Schreibtischschublade im Arbeitszimmer meines Vaters und den Zugangscode kannte ich noch vom letzten Mal, als wir zusammen hier gewesen waren (sein Geburtsjahr – lächerlich).
Welchen Teil von Latishas Studiengebühren er auch übernehmen wollte, für ihn war es einfach ein Geschäft. Mein Vater hatte nie mit seinem Vermögen geprotzt, aber ich hatte lange genug mit ihm unter einem Dach gelebt, um die versteckten Anspielungen mitzubekommen: Anspielungen auf Offshore-Holdings und Steuerprüfungen, die von teuren Anwälten frühzeitig beendet worden waren. Er hätte mich zweimal nach Yale schicken können, wenn ich auch nur die geringste Neigung zum Lernen gezeigt hätte. In das Lagerhaus dagegen hatte er praktisch nichts investiert. Der Korridor war mit gelbem Lack überpinselt, am Boden lag ockerfarbenes Linoleum, an der Decke hingen Leuchtstoffröhren voller Fliegen. Die Tür auf der rechten Seite führte ins Depot und zum Versand, die Treppe links zu den oberen Büros.
Mein Plan war, hier im Korridor das Methanol auszukippen, es anzuzünden, am Hintereingang den Alarm auszulösen (um den Nachtwächter zu warnen) und Fersengeld zu geben. Ob man das Feuer rasch unter Kontrolle bekam, ob es sich ausbreitete, ob der Schaden groß war oder nicht der Rede wert, ob man mich erwischte und bestrafte oder ob ich die Stadt verlassen und meinen Namen ändern musste – das alles war mir ziemlich egal. Was zählte, war mein Zorn, meine Erniedrigung. Also holte ich den Kanister aus der Plastiktasche, stellte ihn auf den Boden, schraubte den Verschluss ab und stieß ihn um.
Der Boden musste sich über die Jahre gewellt haben, denn die Lache floss, kleine Pfützen hinterlassend, den Korridor hinunter. Es schien weit mehr zu sein, als ein Zwei-Gallonen-Kanister fassen konnte. Meine Augen tränten von dem scharfen Geruch.
Ich zog die Zündhölzer aus der Jacke und wickelte sie aus der schützenden Folie. Die Schachtel war trocken, aber meine Hand war feucht und erst das dritte Streichholz flammte auf. Ich fragte mich, ob nicht schon die Dämpfe brennbar waren, ob ich nicht das Opfer meiner eigenen Rache werden würde. Na, wenn schon!
In dem Moment, als ich das brennende Streichholz warf, ging rechts die Tür auf und der Nachtwächter kam in den Korridor.
Vielleicht gab es hier irgendwo eine Überwachungskamera. Oder ich hatte beim Hereinkommen ein Alarmsignal ausgelöst. Oder er hatte seinen Posten verlassen, um Pinkeln zu gehen. Jedenfalls stand er plötzlich im Flur, ein paar Meter von mir entfernt, und starrte mich an. Er war ungemein hager, trug Jeans und ein durchgeschwitztes Hemd. Sein Schädel war groß, eckig und kurz geschoren. Er war vielleicht ein bisschen älter als ich. Die Augen traten ihm förmlich aus dem Kopf, so verblüfft war er. Ein Rinnsal leicht entzündlicher Flüssigkeit gabelte sich an seinen alten braunen Schuhen.
Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen. Doch das Streichholz war schon unterwegs, flog durch die Luft, hinterließ eine gekräuselte Rauchfahne. Ich hatte Zeit, einen einzigen erschrockenen Schritt zurückzutreten. Der Nachtwächter gaffte nur. Ich glaube nicht, dass er begriff, was gleich passieren würde.
Die Flammen waren blau und liefen über die Oberfläche der Flüssigkeit und um den Rand seiner Schuhe. Dann entzündete sich die kritische Grenze zwischen Dampf und Luft, und ein gewaltiger, glühend heißer Atemstoß riss mich beinahe von den
Weitere Kostenlose Bücher