Vorübergehend tot
steigen“, fügte ich diplomatisch hinzu, und darin lag mehr Wahrheit als in allem anderen, was ich zuvor gesagt hatte: Jason liebt eine gute Schlägerei von ganzem Herzen.
„Was zum Teufel hattest du überhaupt da draußen zu schaffen?“ fragte er, aber er wirkte bereits viel entspannter, und ich wußte, daß er mir meine Geschichte abgekauft hatte.
„Wußtest du, daß die Ratten Vampire zur Ader lassen und sie ausbluten - mal abgesehen davon, daß sie mit Drogen handeln?“
Jetzt war Jason fasziniert. „Nein ... und?“
„Nun, einer meiner Kunden letzte Nacht war ein Vampir, und die beiden waren da mitten auf dem Parkplatz von Merlottes dabei, ihn zur Ader zu lassen. Das konnte ich unmöglich zulassen.“
„Ein Vampir hier in Bon Temps?“
„Ja, und selbst wenn man einen Vampir vielleicht nicht gerade zum besten Freund haben will, kann man es doch nicht zulassen, daß solcher Abschaum wie die Ratten ihm alles Blut abzapfen. Das ist schließlich etwas anderes, als jemandem Benzin aus dem Tank zu klauen. Die beiden hätten ihn da draußen unter den Bäumen einfach liegen lassen, und er wäre verreckt.“ Das wußte ich nicht genau - ich war von den Ratten nicht in ihre Pläne eingeweiht worden -, aber ich wäre jede Wette eingegangen, daß sie es genau so geplant hatten. Vielleicht hätten sie ihn abgedeckt, damit er den Tag überlebte, aber ein ausgebluteter Vampir braucht mindestens 20 Jahre, um sich zu erholen. So war es zumindest in einer Talkshow von Oprah Winfrey vor kurzem erklärt worden, und er erholte sich überhaupt auch nur dann, wenn ein anderer Vampir ihn betreute.
„Der Vampir war zur gleichen Zeit wie ich in der Kneipe?“ wollte Jason ein wenig verwundert wissen.
„Aber ja doch. Der dunkelhaarige Typ, der neben den Ratten saß.“
Jason grinste über meine Kurzbezeichnung für die Rattrays. Aber leider hatte er mit der vergangenen Nacht noch nicht abgeschlossen. „Woher wußtest du, daß es ein Vampir war?“ fragte er, aber dann warf er mir einen kurzen Blick zu, und es war klar, daß er sich am liebsten auf die Zunge gebissen hätte.
„Ich wußte es einfach“, sagte ich mit völlig unbeteiligter Miene.
„Natürlich“, erwiderte er, worauf sich eine längere wortlose Unterhaltung zwischen uns beiden anschloß.
„In Homulka lebt kein Vampir“, stellte Jason nun nachdenklich fest. Er drehte sein Gesicht so, daß es möglichst viel Sonne abbekam, und ich wußte, daß wir uns wieder auf sicherem Terrain befanden.
„Das stimmt!“ erwiderte ich. Homulka war die Stadt, die man in Bon Temps aus ganzem Herzen und voller Leidenschaft haßt. Seit Generationen waren wir und die aus Homulka Rivalen, was Football, Basketball und historische Bedeutsamkeit betraf.
„Roedale hat auch keinen“, sagte da plötzlich meine Oma, und Jason und ich fielen vor Schreck fast von den Stühlen. Eins muß man Jason ja lassen: Jedes mal, wenn er unsere Oma trifft, springt er auf und gibt ihr einen dicken Kuß.
„Hast du denn auch genug Essen für mich im Ofen, Oma?“ erkundigte er sich dann liebevoll.
„Für dich und noch zwei mehr“, erwiderte Großmutter und lächelte strahlend zu Jason empor. Sie liebte ihn, auch wenn sie seinen (und meinen!) Fehlern gegenüber mitnichten blind war. „Ich erhielt gerade einen Anruf von Evelyn Mason. Sie hat mir erzählt, daß du dich letzte Nacht mit DeeAnne zusammengetan hast.“
„Mannomann, in diesem Kuhkaff hier kann man auch gar nichts machen, ohne daß man gleich erwischt wird,“ murrte Jason, aber er war nicht wirklich wütend.
„Diese DeeAnne“, sagte Oma warnend, während wir uns alle drei auf den Weg ins Haus machten, „war bereits einmal schwanger – soweit ich das weiß, einmal. Sieh also zu, daß sie kein Kind von dir kriegt, denn dann kannst du dein Leben lang zahlen. Andererseits: Vielleicht komme ich so wenigstens zu Urenkeln.“
Oma hatte das Essen bereits aufgetragen, also konnten wir uns setzen und das Tischgebet sprechen, sobald Jason seinen Hut aufgehängt hatte, und dann tauschten Jason und Oma Klatsch und Tratsch aus - sie nannten das einander auf Stand bringen -, wobei niemand in unserer kleinen Stadt und Gemeinde verschont blieb. Mein Bruder war bei der Regierung angestellt und beaufsichtigte die Straßenbautrupps in unserer Gegend. Meiner persönlichen Meinung nach tat er nichts weiter, als den ganzen Tag in einem staatseigenen Pick-up durch die Gegend zu fahren, sich dann von der Stechuhr bestätigen zu lassen, daß
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