Vorübergehend tot
Oberschenkel“, erklärte mein Bruder und sah dabei peinlich berührt auf seinen Teller. „Aber daran ist sie nicht gestorben. Sie wurde erwürgt. DeeAnne hat mir erzählt, Maudette sei gern in diese Vampirkneipe in Shreveport gegangen, wenn sie ein paar Tage frei hatte. Die Bisse kann sie sich da geholt haben. Es muß also nicht unbedingt Sookies Vampir gewesen sein.“
„Maudette war ein Fangbanger?“ Mir wurde fast schwindelig bei dem Gedanken an die langsame, plumpe Maudette in den exotischen schwarzen Kleidern, in die Fangzahnfans sich so gern zu hüllen pflegten.
„Was ist denn ein Fangbanger?“ erkundigte Oma sich. Als dieses Phänomen in der beliebten Talkshow Sally-Jessy erklärt worden war, hatte meine Großmutter wohl nicht ferngesehen.
„Männer und Frauen, die gern mit Vampiren zusammen sind und denen es Spaß macht, gebissen zu werden. Vampirgroupies. In der Regel, sagt man, werden sie nicht alt. Sie verlangen regelrecht nach diesen Bissen, und irgendwann einmal ist es dann einer zu viel.“
„Aber Maudette starb nicht an einem Biß?“ Großmutter wollte sichergehen, daß sie alles richtig verstanden hatte.
„Nein, man hat sie erwürgt.“ Jason hatte seine Mahlzeit nun fast beendet.
„Tankst du nicht immer im Grabbit?“ fragte ich.
„Aber sicher doch, eine Menge anderer Leute auch.“
„Warst du nicht auch manchmal mit Maudette zusammen?“ fragte nun Oma.
„Nun, wenn man so will, ja“, sagte Jason vorsichtig.
Das verstand ich so, daß er mit Maudette geschlafen hatte, wenn sich nichts Besseres finden ließ.
„Ich hoffe, der Sheriff wird dir keine Fragen stellen wollen!“ sagte Oma kopfschüttelnd. Ihr wäre es lieber gewesen, Jason hätte ihre Frage mit nein beantworten können.
„Wieso das denn?“ Jason war knallrot geworden und sah so aus, als fühlte er sich in die Enge getrieben.
Ich faßte die Sache zusammen: „Jedes Mal, wenn du tankst, triffst du Maudette in ihrem Laden. Du gehst sozusagen mit ihr, und sie wird tot in einer Wohnung gefunden, mit der du ziemlich vertraut bist.“ Viel sprach nicht gegen Jason, aber es war immerhin etwas. In Bon Temps geschah nicht oft ein mysteriöser Mord - ich konnte mir denken, daß der Sheriff bei seinen Ermittlungen keine noch so geringe Spur außer acht lassen würde.
„Ich bin nicht der einzige, auf den das zutrifft! Eine Menge anderer Typen tanken in dem Laden, und die kannten Maudette alle.“
„Ja, aber in welchem Sinne?“ fragte meine Großmutter ganz unverblümt. „Sie war doch keine Prostituierte, oder? Also wird sie erzählt haben, mit wem sie sich traf.“
„Maudette war keine Nutte. Sie hatte nur gern ein wenig Spaß!“ Es war nett von Jason, Maudette zu verteidigen - und im Lichte dessen, was ich über seinen selbstsüchtigen Charakter wußte, kam diese Verteidigung auch ein wenig unerwartet. Fast war ich geneigt, eine bessere Meinung von meinem großen Bruder zu bekommen. „Ich glaube, sie war ein wenig einsam“, fügte er dann noch hinzu.
Mit diesen Worten blickte Jason Oma und mich an und konnte wohl sehen, daß wir beide verwundert und ein wenig gerührt dreinschauten.
„Wo wir gerade von Prostituierten sprechen“, sagte er daraufhin hastig, „in Monroe gibt es eine, die sich auf Vampire spezialisiert hat. Sie hat immer einen Kerl mit einem Pfahl in der Nähe, für den Fall, daß es einen der Vampire überkommt und er zu weit geht, und trinkt synthetisches Blut, um den Blutverlust auszugleichen.“
Jason wollte eindeutig das Thema wechseln, und Oma und ich dachten scharf darüber nach, welche Fragen wir ihm zu dieser neuen Sache stellen konnten, ohne undamenhaft zu wirken.
„Was sie wohl nimmt?“ fragte ich schließlich beherzt, und als Jason die Summe nannte, die ihm zugetragen worden war, schnappten Oma und ich beide vernehmlich nach Luft.
Nun waren wir endgültig vom Mord an Maudette abgekommen, und das Mittagessen endete wie stets: Als der Abwasch anstand, blickte Jason auf seine Uhr und rief entsetzt aus, nun müsse er sich aber sputen.
Die Gedanken meiner Großmutter drehten sich, wie ich bald feststellen konnte, weiterhin um Vampire. Sie kam zu mir ins Zimmer, als ich mich gerade schminkte, um zur Arbeit zu gehen.
„Was denkst du: Wie alt ist der Vampir, den du kennengelernt hast?“ wollte sie wissen.
„Das könnte ich wirklich nicht sagen, Oma.“ Ich war gerade dabei, den Lidstrich zu ziehen, hatte die Augen weit aufgerissen und gab mir alle Mühe, mein Gesicht nicht zu
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