Vorübergehend tot
„Ich möchte, daß Jason gegen Kaution aus der Haft entlassen wird. Es weisen doch nur Indizien darauf hin, daß er für Amys Tod verantwortlich ist, richtig?“
„Er hat gestanden, mit dem Opfer unmittelbar vor der Tat zusammengewesen zu sein. Einer der ermittelnden Polizisten hat mir zudem ziemlich eindeutige Hinweise in Bezug auf das Video zukommen lassen, das bei Ihrem Bruder gefunden wurde. Es zeigt Ihren Bruder beim Sex mit dem Opfer. Der Film hat die Zeit und das Datum festgehalten, an dem er aufgenommen wurde; daraus geht hervor, daß dies Stunden, wenn nicht sogar nur Minuten vor der Tat geschah.“
Zur Hölle mit Jasons perversen Schlafzimmervorlieben. „Jason trinkt nie viel. Als ich ihn heute morgen in seinem Pick-up fand, stank er nach Alkohol. Ich glaube, man hat ihn damit übergossen. Das wird sich meiner Meinung nach auch feststellen lassen. Vielleicht hatte ihm Amy ein Betäubungsmittel in den Cocktail getan, den er in ihrem Bett getrunken hat.“
„Warum hätte sie das tun sollen?“
„Weil sie wütend auf Jason war, wie viele andere Frauen auch. Weil sie ihn so sehr begehrte; weil er sich mit fast jeder hier verabreden konnte, wenn er Lust dazu hatte. Wobei 'verabreden' ein Euphemismus ist!“
Sid Matt wirkte ein wenig erstaunt darüber, daß ich diesen Begriff überhaupt kannte.
„Er konnte mit fast jeder ins Bett gehen, die er begehrte. Für die meisten Typen wäre das wohl der Traum ihrer schlaflosen Nächte.“ Plötzlich legte sich bleierne Müdigkeit um mich wie eine Nebelwolke. „Aber nun hockt der traumhafte Jason im Gefängnis.“
„Sie denken, ein anderer Mann hat ihm das angetan? Versucht, ihm die Tat in die Schuhe zu schieben, es so hinzustellen, als sei Jason der Mörder?“
„Genau so sehe ich die Sache!“ Ich beugte mich vor und versuchte, den skeptischen Anwalt mit der ganzen Kraft meiner eigenen Überzeugung ebenfalls zu überzeugen. „Jemand, der ihn beneidete. Jemand, der Jasons Gewohnheiten kannte, der wußte, wo er sich oft aufhielt. Der diese Frauen umbringt, wenn er weiß, daß Jason gerade nicht bei der Arbeit ist. Jemand, der weiß, daß Jason mit diesen Frauen geschlafen hat, der weiß, daß er sein Liebesleben gern auf Video aufzeichnet.“
„Das alles trifft auf eine Menge Leute zu“, stellte Sid Matt ganz pragmatisch fest.
Leider mußte ich ihm Recht geben. „Ja. Selbst, wenn Jason höflich genug war, nicht jedem gleich auf die Nase zu binden, mit wem er alles ins Bett stieg - wen das interessierte, der brauchte nur abzuwarten, mit wem mein Bruder zur Sperrstunde die Kneipe verließ. Der Betreffende mußte nichts weiter tun, als ein wenig die Augen offenzuhalten, vielleicht hatte er die Videos bei einem Besuch in Jasons Wohnung gesehen ...“ Mein Bruder mochte ja unmoralisch sein, aber ich glaubte trotzdem nicht, daß er diese Videos irgendwem vorgeführt hatte. Allerdings mochte es angehen, daß er einem anderen Mann erzählt hatte, wie gern er sie drehte ... „Dann hat unser Mann Amy irgendeinen Tauschhandel vorgeschlagen, weil er wußte, wie sauer sie auf Jason war. Vielleicht hat er ihr erzählt, er wolle Jason einen Streich spielen, einen handfesten Denkzettel verpassen, irgend etwas in der Art.“ „Ihr Bruder ist bis jetzt noch nie verhaftet worden?“ fragte Sid Matt nachdenklich.
„Nein.“ Obwohl er, wollte man ihm selbst Glauben schenken, ein paar Mal haarscharf daran vorbeigeschlittert war.
„Keine Vorstrafen, ein geschätztes Mitglied der Gemeinde mit fester Arbeitsstelle. Es besteht durchaus die Chance, daß ich ihn auf Kaution freibekomme. Aber wenn er sich dann absetzt, verlieren Sie alles, was Sie besitzen.“
Mir war es wirklich und wahrhaftig nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen, daß Jason die Kaution sausen lassen und sich absetzen könnte. Ich wußte auch nicht, wie man überhaupt eine Kaution stellt und was ich in dieser Frage nun unternehmen mußte. Ich wußte lediglich, daß ich wollte, daß Jason das Gefängnis verlassen konnte. Als würde er ... als würde er schuldiger aussehen, wenn er die lange Zeit bis zur Prozeßeröffnung hinter Gittern verbringen mußte.
„Versuchen Sie doch bitte, das herauszufinden, und sagen Sie mir dann, was ich tun muß“, bat ich Sid Matt. „Darf ich ihn in der Zwischenzeit denn besuchen?“
„Ihm wäre es lieber, wenn Sie das nicht tun würden“, antwortete Sid Matt.
Das tat weh. „Warum?“ fragte ich und bemühte mich wirklich sehr, nicht schon wieder
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