Vorübergehend tot
Körpers neben ihm auf dem Sitz lagen und daß es sich bei dem Strich, den ich auf seinem hübschen Gesicht wahrgenommen hatte, um einen langen roten Kratzer handelte. Auf der Ablage des Pick-up lag ein Video.
Unbeschriftet.
„Sam!“ sagte ich, und die Angst in meiner Stimme war mir zuwider. „Komm bitte her.“
Schneller, als ich es je für möglich gehalten hätte, stand Sam neben mir, und dann langte er an mir vorbei, um die Tür des Pick-up zu öffnen. Da dieser offensichtlich schon seit ein paar Stunden dort gestanden hatte - auf seiner Kühlerhaube hatte sich Tau gesammelt -, und zwar mit geschlossenen Fenstern in der Frühsommersonne, war der Geruch, der nun herausdrang, ziemlich streng. Er setzte sich aus mindestens drei Bestandteilen zusammen: Blut, Sex und Alkohol.
„Ruf den Notarzt!“ bat ich drängend, als Sam in den Wagen griff, um Jasons Puls zu fühlen. Mein Chef warf mir einen zweifelnden Blick zu. „Bist du sicher, daß du das tun willst?“ fragte er.
„Natürlich! Er ist bewußtlos!“
„Warte, Sookie, denk darüber nach!“
Wahrscheinlich hätte ich es mir schon eine Minute später anderes überlegt, aber genau in diesem Moment bog Arlene in ihrem uralten blauen Ford auf den Parkplatz ein, und Sam seufzte und ging in seinen Wohnwagen, um zu telefonieren.
Ich war so naiv! Das hatte ich nun davon, daß ich fast jeden Tag meines ganzen Lebens eine gesetzestreue Bürgerin gewesen war.
Ich fuhr mit Jason im Krankenwagen zu unserem winzigen örtlichen Krankenhaus, wobei ich gar nicht mitbekam, daß die Polizei sich Jasons Pick-up ganz genau ansah, wobei ich den Streifenwagen nicht sah, der dem Krankenwagen folgte, wobei ich völlig vertrauensvoll tat, wie mir geheißen wurde, als der behandelnde Arzt in der Notaufnahme mich nach Hause schickte und sagte, er würde mich anrufen, sobald Jason das Bewußtsein wiedererlangte. Der Doktor erklärte mir, während er mich dabei neugierig betrachtete, Jason stünde offenbar unter Einfluß von Alkohol oder Drogen und schlafe von daher so tief. Aber Jason hatte noch nie zuvor zuviel Alkohol getrunken, und er nahm keine Drogen: Der Abstieg unserer Kusine Hadley hin zu einem Leben auf der Straße hatte auf uns beide einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Ich teilte dem Arzt all diese Dinge mit, und er hörte mir zu und scheuchte mich dann fort.
Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Also fuhr ich nach Hause, wo ich feststellen mußte, daß Andy Bellefleur von seinem Mobiltelefon geweckt worden war. Er hatte mir einen Zettel hinterlassen, auf dem er mir dies mitteilte, mehr aber auch nicht. Später fand ich heraus, daß er wirklich und wahrhaftig im Krankenhaus gewesen war, als auch ich mich noch dort aufhielt, und daß er aus Rücksicht auf mich gewartet hatte, bis ich gegangen war, ehe er Jason mit Handschellen an sein Bett fesselte.
Kapitel 12
Sam kam gegen elf und brachte mir die Nachricht: „Sie verhaften Jason sobald er zu sich kommt, Sookie. Wie es aussieht, wird das bald sein.“ Sam sagte mir nicht, wie es kam, daß er so genau Bescheid wußte. Ich fragte ihn auch nicht danach.
Ich starrte meinen Chef an, und die Tränen flossen mir in Strömen über beide Wangen. An jedem anderen Tag wäre mir bestimmt bewußt gewesen, wie unscheinbar ich aussah, wenn ich weinte. Dies war jedoch kein normaler Tag, weswegen mir mein Äußeres auch völlig gleichgültig war. In mir war alles verknotet. Ich hatte eine Heidenangst um Jason, war traurig wegen Amy und wütend auf die Polizei, weil sie einen so dummen Fehler machte. Vor allem aber - dieses Gefühl überlagerte alle anderen - fehlte mir Bill.
„Die Polizei geht davon aus, daß Amy Burley sich gewehrt hat“, fuhr Sam fort. „Sie nehmen an, Jason habe sich betrunken, nachdem er sie umgebracht hatte.“
„Danke für die Warnung.“ Meine Stimme klang, als käme sie von weit her. „Nun solltest du aber lieber wieder zur Arbeit gehen.“
Nachdem Sam eingesehen hatte, daß ich allein sein wollte, rief ich die Telefonauskunft an und ließ mir die Nummer des Hotels Blood in the Quarter geben. Dann rief ich dort an, wobei ich mir vage vorkam, als täte ich etwas Verbotenes, ohne daß ich hätte sagen können, was genau an meinem Tun verboten sein sollte.
„Blooood ... in the Quarter!“ meldete sich eine tiefe Stimme mit dramatischem Timbre. „Der Sarg, in dem Sie sich auch in der Fremde ganz wie zu Hause fühlen.“
Liebe Güte. „Guten Morgen“, meldete ich mich. „Meine
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