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Vorübergehend tot

Vorübergehend tot

Titel: Vorübergehend tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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ausreichend Stoff zum Grübeln, von den Vampiren ganz zu schweigen. So lange hatte ich mich danach gesehnt, einmal einen Vampir kennenzulernen. Nun kannte ich mehr, als mir lieb ist.
    Die Polizei bestellte ziemlich viele Männer aus Bon Temps und Umgebung auf die Wache und befragte sie zu Dawn Green und deren Gewohnheiten. Andy Bellefleur war dazu übergegangen, seine Freizeit in unserem Lokal zu verbringen, was ein wenig unangenehm war. Er hockte hinter seinem Bier - mehr als eins trank er in der Regel nicht - und verfolgte mit Argusaugen alles, was um ihn herum vor sich ging. Sobald unsere Kunden sich an Andy gewöhnt hatten, machte seine Anwesenheit niemandem mehr groß etwas aus, was unter anderem auch daran lag, daß man das Merlottes nicht gerade als einen Hort illegaler Aktivitäten bezeichnen konnte.
    Irgendwie schaffte Andy es jedes Mal, sich einen Tisch in dem Teil des Lokals zu sichern, für den ich zuständig war. Dann spielte er ein Spiel ohne Worte mit mir: Sobald ich an seinen Tisch trat, dachte er an etwas Provozierendes. Er wollte mich zwingen, auf seine Gedanken zu reagieren. Offenbar hatte er keinen blassen Schimmer, wie unhöflich das war - die Provokation an sich, nicht die beleidigenden Dinge, an die er dachte. Er wollte unbedingt, daß ich seine Gedanken noch einmal las, und ich konnte nicht verstehen, warum.
    Das war vielleicht vier oder fünf Mal so gegangen. Dann mußte ich irgend etwas an seinen Tisch bringen - ich glaube, es war eine Cola Light und er beschäftigte sich gedanklich mit einer Szene, bei der mein Bruder und ich es miteinander trieben. Ich war schon völlig nervös gewesen, noch ehe ich überhaupt an den Tisch getreten war, denn ich hatte genau gewußt, daß mir etwas bevorstand, wenn auch natürlich nicht haargenau, was. Die ganze Sache machte mich derart nervös, daß ich noch nicht einmal mehr wütend sein konnte, sondern mich ständig den Tränen nahe fühlte, weil mich Andys Vorgehen an die nicht gerade raffinierten Foltermethoden erinnerte, denen ich während meiner Grundschulzeit ausgeliefert gewesen war.
    Andy blickte mir bereits erwartungsvoll entgegen, sah die Tränen in meinen Augen, und in seinem Gesicht spiegelte sich mit einem Mal eine erstaunliche Vielfalt an Gefühlen: Triumph, Besorgnis und letztlich ein tief empfundenes Schamgefühl.
    Ich schüttete ihm seine verdammte Cola über das Hemd.
    Dann stiefelte ich direkt am Tresen vorbei zur Hintertür hinaus.
    „Was ist los?“ fragte Sam, der mir stehenden Fußes gefolgt war, in scharfem Ton.
    Ich wollte auf keinen Fall irgendwelche Erklärungen abgeben müssen. Also schüttelte ich nur verzweifelt den Kopf, zog ein nicht mehr ganz frisches Taschentuch aus der Seitentasche meiner Shorts und trocknete mir damit die Augen.
    „Hat er etwas Häßliches zu dir gesagt?“ wollte Sam wissen, wobei seine Stimme leise, aber überaus zornig klang.
    „Er hat häßliche Dinge gedacht“, erwiderte ich. „Er will mich zu einer Reaktion zwingen. Er weiß Bescheid.“
    „Gottverdammter Schweinehund!“ sagte Sam, und diese Reaktion versetzte mir einen derartigen Schock, daß ich mich schon fast wieder normal fühlte. Sam flucht nämlich nie.
    Dann fing ich an zu weinen, und meine Tränen wollten und wollten nicht aufhören zu fließen. Ich weinte mich ordentlich aus - nicht weil ein großes Unglück passiert war, sondern verschiedener kleinerer Traurigkeiten wegen.
    „Geh du ruhig wieder rein“, bat ich Sam nach einer Weile, denn die endlose Fontäne, die aus meinen Augen quoll, war mir sehr peinlich. „Es geht dann schon wieder.“
    Gleich darauf hörte ich, wie sich die Hintertür öffnete und wieder schloß und nahm an, Sam hätte meiner Bitte Folge geleistet. Aber dann hörte ich die Stimme Andy Bellefleurs. „Ich würde mich gern bei dir entschuldigen, Sookie.“
    „Für Sie bin ich immer noch Miss Stackhouse, Andy Bellefleur!“ sagte ich. „Meiner Meinung nach sollten Sie lieber nach den Mördern von Dawn und Maudette suchen, statt hier mit mir fiese Kopfspielchen zu spielen.“
    Mit diesen Worten drehte ich mich um und sah dem Polizisten direkt ins Gesicht. Dieser wirkte ganz schrecklich beschämt; das schien echt, ich glaubte nicht, daß er mir etwas vorspielte.
    Neben uns fuchtelte Sam wütend mit den Händen. Er steckte voller Zorn und voller Energie, weil er so zornig war. „Hören Sie“, befahl er streng, wobei in seinem Ton eine Menge unterdrückter Gewaltbereitschaft mitschwang, „Sie halten sich

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