Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
grasten gemächlich. Ein Elch suhlte sich im Teich. Moos hing in seinem Geweih, nachdem er den Kopf untergetaucht hatte, um nach wohlschmeckenden Wasserpflanzen zu suchen.
»Das ist das Land meines Volkes«, flüsterte Der im Licht läuft. »Hier wohnt Sonnenvater. Hier, im Süden, ist seine Heimat. Gesegnet seist du, Wolf, daß du mir den Weg gewiesen hast. Ich bringe mein Volk hierher. Alle gemeinsam werden wir dir zum Dank singen.«
Nur zögernd trat er den Rückweg an. Dieses herrliche Land ließ er nur widerwillig hinter sich. Der Abstieg in den blauen Schatten des Eises raubte ihm die neugewonnene Energie. Auf der anderen Seite des Eiskanals angelangt, fühlte er sich wieder kalt und matt.
KAPITEL 2
Ein kräftige Bö peitschte gegen den auf einem schwarzen Felsen errichteten Steinhaufen. Eisfeuer wickelte sich fester in den mit zwei Lagen Karibufell gefütterten Umhang. Mit vor der Brust gekreuzten Armen kauerte er sich schutzsuchend zwischen die Steine.
Trotz des Schneesturms, der das Land in dichtes Weiß hüllte, konnte er noch den Himmel erkennen.
Der Anblick der Myriaden von Sternen befreite seinen Kopf. Schnee rutschte von den Steinen herunter und sammelte sich als feiner Puder auf seinen langschäftigen Stiefeln.
Eisfeuer, der Hochverehrteste Älteste des Mammutvolkes, ließ die Zunge über die spärlichen Reste seiner Zähne gleiten. Die neue Lücke, die der erst vor kurzem ausgefallene Backenzahn links oben hinterlassen hatte, war ihm noch nicht vertraut. Kauen konnte er lediglich noch auf der rechten Seite.
Prüfend strich er über das Zahnfleisch der Schneidezähne und beobachtete dabei die Sterne.
»So viele Jahre«, murmelte er. »Warum nahmst du mir alles, was ich geliebt habe? Großes Geheimnis dort oben, was willst du von mir?«
Doch nur der nie nachlassende Wind antwortete. Eisfeuer lauschte in der Hoffnung, eine Stimme zu vernehmen. Er wartete auf eine Vision, die sich beim Anblick des sich wellengleich über die endlose Hochebene bewegenden Schnees einstellen sollte.
Als er sich vorbeugte, um nach Norden zu sehen, bohrte sich ein spitzes Felsstück in seinen Rücken.
Er stöhnte auf. Der ziehende Schmerz machte ihm zu schaffen. Wie lange lag alles zurück? Fast zweimal zehn Finger. Damals folgte er zum erstenmal dem Ruf. Jetzt fing alles wieder von vorn an.
Diesmal erreichte ihn der Ruf nach Süden und bereitete ihm schlaflose Nächte. Er glich einem leichten Ziehen, beeinflußte seine Gedanken und trieb ihn unwiderstehlich dazu, die warmen Mammutfellbehausungen des Weißen-Stoßzahn-Clans zu verlassen, hinauf auf die Felsen zu klettern, dazusitzen, zu beobachten und zu warten.
Im Süden lebte das Volk, das sie den Feind nannten. Der feindliche Stamm, dessen Land sie bejagten.
Der Feind, der niemals kämpfte der lieber all seinen Besitz preisgab und sie zur ständigen Verfolgung nach Süden zwang. Mißbilligend schnüffelte er. Wie sollte ein Krieger auf diese Weise zu einem ehrenhaften Kampf kommen? Wie sollte der Weiße-Stoßzahn-Clan je zu Ruhm und Ehre und damit in den Besitz des Heiligen Weißen Fells gelangen, des Totems seines Stammes? Die anderen Clans im fernen Westen befanden sich ständig auf dem Kriegspfad.
»Wir müssen die Feiglinge zwingen, gegen uns zu kämpfen.«
Eisfeuer rieb sich mit einem eisverkrusteten Fäustling die Nase, legte den Kopf in den Nacken und starrte durch das Schneegestöber zu den Sternen hinauf. Das Weiße Fell war das größte Heiligtum des Mammutvolkes. Es handelte sich um ein vor langer Zeit erbeutetes und sorgfältig gegerbtes Fell eines weißen Mammutkalbes. Mit feinen Strichen waren darauf die Geschichte der Clans, die Symbole der Himmelsrichtungen, die Wege von Erde und Luft und Wasser und Licht symbolisch in der Herzgegend des Fells aufgezeichnet. Die Zeichnungen waren dem Ritual entsprechend mit dem Blut eines frisch geschlachteten Mammuts ausgeführt worden. Ohne Ruhm und Ehre für das Heilige Weiße Fell mußten die Menschen unweigerlich verhungern, denn das Mammut würde sie nicht erhören. Sein Clan war dem Tode geweiht.
Müde versuchte Eisfeuer sich zu entspannen. Unter den Decken war ihm warm. Er fühlte sich wohl, trotz des Krampfes in den alten Beinen und des Felsens, der sich schmerzhaft in seinen Rücken bohrte.
In einsamen Nächten wie dieser verfolgte ihn die Erinnerung an die Frau am Strand. Eine bewundernswerte Schönheit. Er war sich vollkommen sicher gewesen, daß sie ihn an diesen einsamen Ort gerufen hatte ihr
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