Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
versteckte sich nicht mehr hinter Wolkenmutter. Kein Hunger raubte seinen Gliedern die Kraft oder verwirrte seinen Kopf. Er ging in flottem Tempo, der Wolf in lässigem Trab dicht hinter ihm.
»Da!« Der Wolf wies mit der Schnauze nach vorn. »Siehst du? Dort im Süden?«
Der im Licht läuft hob eine Hand, um die Augen vor dem blendenden Glanz von Sonnenvaters Strahlen, die den Schnee zum Glitzern brachten, zu schützen. Er sah, was ihm der Wolf zeigen wollte.
Vor seinen Augen funkelte das Große Eis, eine bedrohliche Wand aus Kälte und blauem Eis unter Gebirgen von Schnee. Wasser strömte an der gewaltigen Wand herunter. Es führte Kies und große Steine mit sich, die in der Eiseskälte festfroren und merkwürdige Formen bildeten. Die Eiswand krachte, ächzte und kreischte.
Kein Wunder, daß sich Krähenrufer vor dem Großen Eis fürchtete. Auch Der im Licht läuft schluckte ängstlich, als er neben dem Wolf auf die Wand zuschritt.
Beim Näherkommen geriet ein von breiten Ufern gesäumter Fluß in ihr Blickfeld. Eisschollen schoben sich ineinander und zwängten sich in das Tal. Das Eis wich von den Hügeln zurück. Sie gingen an dem kristallklaren Wasser entlang. Der im Licht läuft entdeckte Lachse und Rotforellen, deren Weibchen sich flußaufwärts zu den Laichplätzen kämpften. Vereinzelt sah er auch einige Äschen.
»Hier durch«, flüsterte der Wolf. Gemeinsam durchstiegen sie einen gigantischen Felsriß. Als Der im Licht läuft nach oben blickte, entdeckte er in schwindelerregender Höhe längs einer gezackten Linie, an der sich das Eis gespalten hatte, Blauhimmelmann. Doch gleich umgab ihn wieder Dunkelheit.
Schwarze, ewige Nacht umschloß ihn. Er befühlte das Fell des Wolfes, das einzige Zeichen von Leben und ein Beweis, daß seine Seele noch nicht für immer begraben war.
Lange Zeit später erspähte er einen winzigen Lichtpunkt, der sich zunehmend vergrößerte. Die Felswände traten auseinander und gaben den Blick auf Blauhimmelmann wieder frei. Die Angst verflüchtigte sich. Nebeneinander liefen Mensch und Wolf weiter im blauen Schatten des Eises, Kies knirschte unter ihren Schritten.
Schließlich türmten sich vor ihnen vom Wasser glattgeschliffene Findlinge auf und versperrten ihnen den Weg.
Behende sprang der Wolf von einem Felsen zum anderen. Plötzlich hielt er inne und warf einen Blick über die Schulter. Windfrau zerrte mit gierigen Fingern an seinem langen grauweißen Pelz.
»Das ist der Weg, Mann des Volkes.« Die Stimme des Tieres hallte als Echo von den Felswänden zurück. »Ich zeige dir den rettenden Weg. Ach, wäre ich nur gleich hierhergekommen, dann hätte ich nicht Die wie eine Möwe fliegt kauen und du hättest mich nicht erlegen müssen. Jetzt nimm mein Fleisch. Iß und gewinne daraus die Kraft, diesen Weg zu gehen.«
Der Wolf sprang weiter von Felsen zu Felsen. Silbriges Sonnenlicht verfing sich in seinem buschigen Schwanz. Elegant balancierte er über die mächtigen Steine und verschwand mit einem einzigen Riesensatz über den Rand eines Grats.
Der im Licht läuft biß sich auf die Lippen. Ein Gefühl unendlicher Einsamkeit durchströmte ihn. Kurz entschlossen folgte er dem Wolf und nahm den Kampf mit den Felsen auf. Langsam zog er sich hinauf. Er keuchte vor Anstrengung. Höher und höher kletterte er auf dem glatten Granit.
In Sonnenvaters hellem Licht badete er sein Gesicht, dann setzte er schwitzend seinen Weg fort. Mit stechenden Lungen erreichte er schließlich den Grat. Geblendet von der Sonne blickte er hinunter ins jenseitige Tal. Es verschlug ihm den Atem. Saftiges Gras wogte unter Windfraus zärtlichem Streicheln. Ein Mammut mit glänzendem braunen Fell hob den Kopf, schwenkte übermütig den Rüssel durch die Luft und zeigte stolz seine elfenbeinweißen Stoßzähne. Karibus schnupperten mit hocherhobenen Nasen. Die jungen Geweihe waren noch vom Bast umhüllt. Ein Moschusochse blickte in unnachahmlich majestätischer Haltung um sich. Ganz weit hinten lief der Wolf durch das Gras. Er grüßte Fuchs, Wiesel, Krähe und viele andere Tiere.
Lächelnd breitete Der im Licht läuft die Arme aus, um Sonnenvaters Wärme in seine steifen Glieder fließen zu lassen und neue Kraft zu sammeln. Unter ihm wälzte sich Großvater Braunbär vergnügt im Gras. Ausgelassen griffen seine Vorderpfoten an die Zehen der Hinterpfoten, dann ließ er sich auf die Seite rollen. Zahlreiche Langhornbüffel, deren Schwänze aufgeregt gegen ihre kurzbehaarten Hinterteile schlugen,
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