Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
Wolfsträumer«, gab Eisfeuer zu. »Wie kann sich nur jemand auf ein solches Risiko einlassen?«
Tanzende Füchsin nickte. »Ich bin schon zweimal durchgegangen. Aber es wird nie leichter.«
Ein Schrei ertönte. Jemand stürzte mit einem dumpfen Aufschlag. Dabei war ein knackendes Geräusch zu hören als breche ein Speerschaft. Roter Feuerstein ächzte laut.
»Was ist los?« rief Singender Wolf in die Dunkelheit. Das unheimliche Echo warf seine Stimme zurück.
»Mein Fuß«, jammerte Roter Feuerstein. Man hörte das Schaben von Pelz auf Fels und Kies.
»Hier. Ich bin bei dir. Nimm meine Hand«, befahl Singender Wolf. »Ich knie jetzt nieder und befühle deinen Knöchel. Kannst du meine Hand führen?«
Tanzende Füchsin kehrte um und eilte mit der Lampe zu dem Verletzten. Eisfeuer folgte ihr dicht auf den Fersen.
Im trüben Licht sahen sie Singender Wolf über den Sänger gebeugt. Er tastete das Bein des Alten ab.
Bei der Berührung entfuhr Roter Feuerstein ein gequälter Aufschrei.
»Ich spüre es sogar durch den Stiefel. Gebrochen.«
Roter Feuerstein wimmerte. »Nicht hier drin«, flüsterte er.
»Wir bringen dich schon raus«, versicherte ihm Singender Wolf. Er nahm seine Rückentrage ab und öffnete sie. Nach längerem Suchen förderte er zwei Lederriemen und zwei Stöcke zutage. »Ich schiene das Bein. Wir tragen dich auf den Schultern.«
»Warte«, rief Gebrochener Schaft von hinten. »Er ist unser Sänger. Wir tragen ihn.«
Im Dunkeln erklang Eisfeuers befehlsgewohnte Stimme. »Wir tragen ihn abwechselnd und jeden anderen ebenfalls, der sich noch verletzen sollte. Oder habt ihr vergessen, wo wir uns befinden?« Er blickte sich um. Im dämmrigen Lampenschein sah er in verwirrte, verängstigte Gesichter.
Das Eis über ihnen geriet in Bewegung. Das laute, schabende Geräusch und die gleichzeitigen Erschütterungen erschreckten sie zu Tode. Niemand rührte sich.
»Wir wechseln uns ab«, brach Tanzende Füchsins frische Stimme das Schweigen. Mit der Lampe in der Hand bückte sie sich und leuchtete Singender Wolf, der sachkundig Roter Feuersteins Bein schiente.
Die Feuerstellen leuchteten in der Dunkelheit bernsteinfarben auf. Vor den Flammen waren die Silhouetten geschäftiger Menschen zu erkennen. Sie machten sich an den Kochsäcken zu schaffen.
Von Wohlstand zeugende neue Zelte aus besten Häuten schmückten das Lager. Der Duft von gebratenem Fleisch, gerösteter Leber und Fett vermengte sich in der Luft mit dem beißenden Geruch eines seltsamen Rauches. Windfrau hatte ihren rauhen Atem angehalten. Fröhliche Stimmen erklangen in der Stille der Nacht. Die Nebel hatten sich an diesem herrlichen Abend verzogen und gaben den Blick frei auf die funkelnden Sterne. Rabenjäger seufzte zugleich stolz und erleichtert. Eine Hundemeute stürmte kläffend auf ihn zu.
»Haut ab! Ihr dreckigen …« fluchte Rabenjäger und trat schwach nach den blitzschnell reagierenden Tieren.
»Wer ist da?«
»Rabenjäger«, antwortete er hochmütig auf die Frage der Wache. Er versuchte, sich seine Erschöpfung nicht anmerken zu lassen. Auf zitternden Beinen stolperte er weiter. Hinter ihm ertönten Schritte.
»Du bist verletzt. Ich helfe dir. Trägst du einen Verwundeten auf der Schulter? Ist das ein Körper?
Was …?«
»Verschwinde!« schrie er den jungen Mann an, der es gewagt hatte, nach dem Weißen Fell zu greifen.
Als wolle sie seine Worte bekräftigen, schickte Windfrau im selben Moment eine beißende Bö.
Erschrocken verschwand der Mann in der Dunkelheit.
Mit leuchtenden Augen trat Rabenjäger in den Schein des größten Feuers. Erleichtert ließ er das Weiße Fell von seinem Rücken auf die Decke von Grünes Wasser gleiten. Die Leute starrten ihn aus großen Augen an. Ihre Gesichter drückten maßloses Erstaunen aus, fast so, als sei eines der Monsterkinder geradewegs vom Himmel zu ihnen herabgestiegen. Wölfisch spähte er in die Runde.
»Rabenjäger!«
Der Name eilte von Mund zu Mund.
Ja. Innerlich lachend durchbohrte er sie förmlich mit seinen Augen. Der offensichtliche Respekt ihm gegenüber freute ihn über alle Maßen. Ich bin zurück, Leute. Ich bin zurückgekehrt und führe euch auf einen neuen Weg. Einen Weg, auf dem ihr mir alle folgen werdet. Jetzt wird mich niemand mehr in Frage stellen. Niemand wird es wagen, MEINE Führung anzuzweifeln.
»Seht ihn an! Er ist ein anderer geworden völlig verändert.« »Seht doch das Licht in seinen Augen.
Wie bei einem Träumer er hat etwas gesehen.«
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