Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
du mich? Das schwöre ich auf das Wolfsbündel, das sie gestohlen hat. Ich werde mein Kind finden«
»Das Kind? Oder geht es dir nur um das Wolfsbündel? Ich glaube kaum, daß du dir Sorgen um das Kind machst. Ich liege im Sterben.
Ich habe nichts weiter zu sagen.«
Unter Blutbärs straff gespannten Wangen zuckten die Muskeln vor unterdrückter Gewalttätigkeit, seine Zähne knirschten vernehmlich.
»Dann stirb, Alter
Blutbär blickte zu Boden, zögerte zuerst, doch dann versetzte er Gestutzte Feder einen Fußtritt in den Magen. »So, das bringt dich nicht um. Aber ein kleines Andenken schadet nicht.«
Und fort war er, förmlich explodierend im Licht jenseits des Zeltes.
Gestutzte Feder krümmte sich stöhnend vornüber. Krämpfe brannten in seinem Leib. Als er sich aufrichtete, fühlte er ein Ziehen, einen Wärmestrom tief in seinem Innern. Ein sonderbares Prickeln durchlief ihn, und er fühlte sich aufgedunsen und benommen.
Er merkte kaum, wie er nach vorne fiel. Ihm war, als starrten ihn Gesichter von der Seite an. Die Decken unter seinen kalten Wangen fühlten sich feucht an, wie durchnäßt, als hätte jemand Wasser darüber vergossen. Schwindel überfiel ihn. Die Leute drängten herein und versuchten, ihm zu helfen.
Doch sie stellten Fragen, die er kaum verstand.
»Das Wolfsbündel?« Ein Schrei durchdrang den Nebelschleier in seinem Kopf. »Ohne das Wolfsbündel können wir nicht leben!«
Klares Wasser hatte es mitgenommen. Geistertraum… Klares Wasser wußte, was sie tat. Seine Gedanken verflüchtigten sich wie Rauch im nächtlichen Himmel. Auflösung. Auflösung. Düsterkeit.
»Sieht aus, als hättest du wieder ungewollt einen Fehler gemacht, Blutbär. Du hast mich doch getötet.«
Leise kicherte er.
Nebelschleier verdunkelten sein Bewußtsein und umwogten ihn sanft. Er fühlte sich wie eine von Wolken eingehüllte Bergspitze.
Plötzlich begann er sich zu erheben, aufzusteigen, über seinen zerbrechlichen Körper hinauszugehen.
Kommst du? fragte eine sanfte Stimme.
»Wer? Wer spricht da?«
Sie nennen mich Wolfsträumer… den Sonnenmann… ein neuer Weg liegt vor dir. Ein neuer Weg…
Was geschehen muß, geschieht. Menschliche Seelen fließen wie die Strömung eines Flusses - oftmals zornig, schlagen sie weiß, tosend und wild gegen widerspenstige Felsen, die ihnen den Weg versperren. Dann wieder wandern menschliche Seelen friedlich, langsam und ruhig, kräuseln kaum die Oberfläche des lauen Wassers. Manchmal, in der anderen Jahreszeit, strömen sie eingehüllt in blauweißem Eis dahin, eingeschlossen in geheimnisvolle Dunkelheit.
Um das Wolfsbündel versammelten sich Seelen, nichtsahnend von den Stromschnellen hinter der letzten Biegung.
»Du mußt Geduld haben«, flüsterte Wolfsträumers Stimme durch den Dunst.
»Ich weiß«, antwortete das Wolfsbündel.
KAPITEL 1
Warm und dumpf lastete die Hitze der Nacht im Zelt. Vergeblich zerrte der raschelnde trockene Wind an den rauchgeschwärzten Lederhäuten. Die Zelthäute waren fest heruntergezogen und im harten Lehm verankert worden, damit ein möglichst hermetisch abgeschlossener Raum entstand. So konnten sich keine feindseligen Geister darunter hindurchwinden und sich in ein neues Zuhause hineinstehlen.
Während einer Geburt ergriff das Volk stets diese Vorsichtsmaßnahme, denn neugeborene Kinder besaßen keine Seele und boten einen warmen Zufluchtsort für alles Böse. Um weitere Gefahren durch üble Mächte abzuwenden, waren Salbeihaufen Salbei galt als Lebenspender aufgeschichtet worden.
Die sorgsam zermahlenen Blätter durchsetzten die trockene Luft mit einer würzigen Schärfe.
Der Junge draußen in der Dunkelheit kroch zu der Stelle, an der sich eine zerschlissene Naht gerade so weit geöffnet hatte, daß er einen Blick in das Innere des Zeltes werfen konnte.
Ein Feuer aus Pappelholz glühte und qualmte in der stickigen Hitze des Zeltes und spendete in der dunklen Nacht spärliches Licht.
Warme, dampfende Luft drang durch die Öffnung nach außen und biß dem Jungen in die Augen. Der Geruch von gegerbten Häuten, Rauch und Salbei, vermischt mit Gerüchen von Schweiß, Holz und Angst, stieg ihm in die Nase. Den zarten, bitteren Duft der Kräuter einatmend schaute er zu.
Tanzende Hirschkuh schrie auf. Sie lag nackt auf schweißgetränkten Decken, die glatten Züge ihres jungen Gesichts zu einer Grimasse verzerrt. Ihr Bauch verkrampfte sich unter den Wehen und versuchte, das Kind aus dem sicheren Gefängnis ihres Schoßes zu
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