Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
beiden Seiten fielen die Felswände jäh ab und reichten in eine endlos schwindelerregende Tiefe. Niedrig treibende Wolkenfetzen jagten über den tiefblauen Himmel. Starke Windböen zerrten an ihm und machten es ihm noch schwerer, auf dem schmalen Grat die Balance zu halten.
Verzweifelt sprang er von Felsen zu Felsen. Das grauenvolle Entsetzen verlieh seinen Sprüngen eine schier übermenschliche Kraft. Dort, vor ihm, klammerte sich seine Mutter an einen Felsen und versperrte ihm den Weg. Ihr Gesicht drückte reinste Qual aus.
Der Wind peitschte ihr langes schwarzes Haar. Mit verzerrter Miene krallte sie sich in den Felsen. Sie sah ihn aus weitaufgerissenen Augen an.
»Schnell! Er ist dicht hinter dir. Lauf, mein Sohn.« Der Wind riß die verzweifelten Schreie der Mutter mit sich fort und trieb sie hinaus in die unermeßliche Weite.
»Weiter. Klettere über mich.«
Er strauchelte plötzlich, und ihr Gesicht wurde leichenblaß, ihre Haut hart. Sie verwandelte sich in Stein.
»Nein!« schrie er voller Hoffnungslosigkeit in die unendliche Weite.
Der tosende Wind versuchte, ihn in den Abgrund zu reißen. Das Monstrum hinter ihm reckte den Hals und öffnete sein gieriges Maul, um ihn zu verschlingen.
»Mutter?« Mit einem verzweifelten Sprung hechtete er auf die runde Steinmasse ihres Rückens.
Selbst jetzt fühlte er noch die Gegenwart des hinter ihm lauernden Schreckens. Drohend ragte die Kreatur auf und streckte sich nach ihm aus. Er bemühte sich, auf dem Felsen, der zuvor seine Mutter gewesen war, sicheren Halt zu finden, doch er geriet aus dem Gleichgewicht. Knirschend und bebend bewegte sich der Fels.
Schluchzend vor Angst blickte er hinunter. Der Felsen mit dem Gesicht seiner Mutter stürzte mit lautem Getöse in die Tiefe, Geröll polterte krachend gegen die Klippe.
Er kroch den schmaler gewordenen, bröckelnden Fels entlang und spürte, wie das namenlose Grauen wieder nach ihm greifen wollte.
Fluchtartig sprang er in eine riesige flache Mulde. Bei seiner Landung entpuppte sie sich als Wildkirsches Rücken. Die alte Frau blickte zu ihm herauf, ein verschlagenes Lächeln umspielte ihren Mund. Plötzlich verlagerte sie ihre Stellung, als wolle sie versuchen, ihn in den Abgrund zu stürzen.
Kleiner Tänzer stützte sich mit den Füßen ab und griff nach dem über ihm liegenden Grat. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie Wildkirsches Körper zu grauem Granit erstarrte und unter seinem Gewicht knirschend nachgab. Sich verzweifelt an den Grat klammernd sah er Wildkirsches Felsen in einem donnernden Geröllhagel den Abgrund hinuntersausen. Seine Zähne schlugen laut klappernd aufeinander. Er hing in der Luft, doch es gelang ihm, mit letzter Kraft Halt mit den Füßen zu finden, und er konnte sich wieder auf den schmalen Pfad hochziehen. Schmerzhaft schnitt der scharfkantige Fels in sein Fleisch.
Mit angehaltenem Atem hastete Kleiner Tänzer weiter auf dem tückischen Grat, die Klauen des Todes im Nacken fühlend.
Aus dem zerklüfteten Granit formte sich Zwei Rauchwolkens Gesicht.
Der Berdache blickte zu ihm herauf. Noch während er voller Entsetzen auf die vertrauten Züge hinuntersah, erstarrten die Augen des Freundes wieder zu Stein. Der Fels bewegte sich mit einem mahlenden Geräusch und zerbröckelte.
Was einmal Zwei Rauchwolken gewesen war, löste sich auf und stürzte in die Ewigkeit.
Kleiner Tänzer mußte sich zum Weitergehen zwingen, denn jede neue Windbö zerrte mit noch größerer Gewalt an ihm und versuchte, ihm sein Gleichgewicht zu rauben.
Er sah hinunter und erkannte seinen Vater. Während dieser zu ihm heraufschaute, verwandelte er sich unaufhaltsam in Stein.
Schluchzend kroch Kleiner Tänzer über den sich bewegenden Fels.
Er wußte, der gewaltige Steinbrocken konnte zwar mühelos sein Gewicht tragen, würde ihn aber unweigerlich verraten.
Das abscheuliche, schwergewichtige Geschöpf hinter ihm näherte sich. Die Felsen erbebten unter seinen Schritten. Mit seiner massigen Gestalt die Sonne verdunkelnd, beugte es sich vor und blies ihm seinen stinkenden Atem in die Nase.
»Ich kann dich retten«, rief Weißes Kalbs Stimme von irgendwo über ihm.
Kleiner Tänzers Herz hämmerte vor Angst, als der Felsen, der sein Vater gewesen war, mit Gepolter losbrach und langsam seitwärts glitt.
Hohl dröhnte das Lachen des Grauens hinter ihm: »Zu spät.«
Schwerer Biber!
Kleiner Tänzer erstarrte. Hilfesuchend griffen seine Hände in den Felsen, der einmal sein Vater gewesen war. Der
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