Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
um die Schultern. Fest zog sie ihn an sich. »Schon gut. Das ist ein schöner Lagerplatz. Da unten in dem kleinen Bach können wir Wasser holen. Der Blick nach Westen reicht bis zu den Red Rock Mountains. Ich glaube, hier können wir in Ruhe abwarten, bis Plage zurückkommt.« Sie zögerte.
»Außerdem wird uns hier kaum jemand entdecken.«
Er tätschelte ihre Hand. »Du fürchtest dich halb zu Tode, nicht wahr?«
»Sobald ich an das Wolfsvolk denke, sehe ich Drei Bullen vor mir.«
Er griff nach ihrem Handgelenk. »Ich habe dir doch gesagt, sollte uns jemand vom Wolfsvolk über den Weg laufen und uns fragen, was wir hier zu suchen haben, antworten wir einfach, wir wären auf dem Weg zu Linke Hand.« Ihren furchtsamen Gesichtsausdruck wahrnehmend, fügte er hinzu: »Außerdem sind wir vom Erdvolk und damit Freunde des Wolfsvolkes. Sie befinden sich nur gegen das Sonnenvolk auf dem Kriegspfad. Solange kein Wort in der Sprache des Sonnenvolkes über deine Lippen kommt, schöpfen sie nie Verdacht.«
»Bestimmt hast du recht«, meinte sie tonlos. Eisige Finger wühlten in ihren Gedärmen.
»Komm schon, wir…«
Plötzlich brach unter ihnen im Tal lautes Geschrei aus.
»Das Wolfsvolk!« flüsterte Kranker Bauch aufgeregt. Er schlich zu den schützenden Sträuchern und lugte vorsichtig über die Kalksteinklippe. Weiße Esche kroch neben ihn an den Rand des Felsens und spähte ebenfalls hinab. Drei Frauen mit Säuglingen auf den Armen und fünf Kinder rannten durch das Tal. Hinter ihnen preschte ein Mann zwischen den Bäumen hervor. Im Laufen blickte er ängstlich über die Schulter. Er trug einen Atlatl und zwei Speere, einer war wurfbereit angelegt.
»Schneller!« Der Ruf des Mannes war nur schwach zu hören.
Innerhalb weniger Augenblicke hatten die Flüchtenden das Tal durchquert und waren zwischen den Bäumen verschwunden.
Kranker Bauch wippte auf den Fersen und kaute nachdenklich auf seinem Daumen. »Was glaubst du, wovor sie weglaufen?«
Weiße Esche versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. »Vor dem Krieg.«
»Krieg?«
Sie haßte das Übelkeit erregende Gefühl, das die Erinnerung heraufbeschwor. »Ich habe genug gesehen. Da unten herrscht Krieg.«
»O nein«, stöhnte Kranker Bauch. »Krieg? Und Plage läuft mitten hinein! Wir müssen …«
Voller Angst umklammerte sie seinen Arm. »Wir müssen gar nichts. Wir bleiben still hier sitzen und halten uns da heraus!«
»Aber Plage…«
»Kranker Bauch, jetzt hör mir mal zu.« Sie starrte ihm durchdringend in die Augen. »Du hast das nie miterlebt. Du weißt nicht, wie das ist. Das Erdvolk wurde schon lange nicht mehr überfallen und befand sich seit ewigen Zeiten nicht auf dem Kriegspfad. Im Krieg sterben Menschen, Kranker Bauch.
Leute werden durchbohrt, ihre Schädel gespalten. Die Wunden infizieren sich und Eiter strömt heraus wie ein Fluß. Die Menschen schwellen an und brennen vor Fieber. Sie sterben langsam … unter entsetzlichen Qualen.«
Er nickte. »Das weiß ich.«
»Dann weißt du sicher auch, daß uns das passieren kann.«
Er schloß die Augen und nickte wieder.
Noch mehr Menschen stürmten zwischen den Bäumen hervor und rannten in Panik durch das Tal.
»Wer ist das?« fragte Kranker Bauch. »Wer überfällt das Wolfsvolk?«
Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Das Sonnenvolk. Höchstwahrscheinlich der Stamm der Gebrochenen Steine. Letzten Winter jagte der Stamm an der Mündung des Gray Deer River in den Fat Beaver River östlich von dem Gebiet des Schwarzspitzen-Stammes.«
»Genau wie in meinem Traum«, flüsterte er mit unterdrückter Stimme. »Alles geschieht genau wie in meinem Traum.«
»Komm.« Weiße Esches Körper verkrampfte sich vor Angst. »Wir packen zusammen und sehen zu, daß wir wegkommen.«
Sie zog sich vom Rand der Klippe zurück, Kranker Bauch folgte ihr zögernd. Hastig band sie die Beutel zusammen und blickte sich um, ob sie auch nichts vergessen hatte. Schon eilte sie zum Weg, der hinunter in den Wald führte.
»Warte!« rief Kranker Bauch.
Sie drehte sich um. »Wir müssen hier weg.«
Er schluckte hart und sah zum Grat hinauf. »Laß mich wenigstens noch nachsehen, ob Plage da oben ist. Vielleicht hat eine Packratte ihr Nest in den Felsen, und er ist hinter ihr her. Es dauert nur einen Augenblick.«
Mit Mühe verkniff sie sich eine zornige Antwort. »Gut, aber beeil dich! Wir wollen mit keinen Kriegern zusammentreffen! Die Krieger der Gebrochenen Steine töten uns ebenso schnell
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