Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
im Zelt seines Vaters erwacht. Wie alle anderen hatte er die Decken beiseite geworfen, nach seinem Atlatl und den Speeren gegriffen und war nackt und verängstigt aus dem Zelt gestürmt. Draußen herrschte heillose Verwirrung. Die Krieger tobten mit wilden Schlachtrufen durch das Lager. Frauen kreischten, und Kinder weinten vor Entsetzen. Ein großer Krieger packte Felsmaus, die gerade aus ihrem Zelt rannte, an den Haaren, und holte mit einem Steinstiel aus, um ihr den Kopf zu zerschmettern. Tapferer Mann legte einen Speer in den Atlatl und trieb ihn mit all seiner Kraft in den Rücken des Mannes. Aber er besaß nur die Speere eines Jungen mit grob behauenen Spitzen, die nicht wie die Speere eines Mannes mit ihren fein gearbeiteten, scharfen Spitzen tief in den Krieger eindrangen.
Der Krieger schrie vor Schmerz auf, ließ Felsmaus los und wirbelte herum. Tapferer Mann legte einen zweiten Speer in die Rille ein und schleuderte ihn in die Brust des Mannes. Rasend vor Wut und Schmerz, stürmte der Krieger auf ihn zu, doch Tapferer Mann stieß einen dritten Speer in den Bauch des Feindes. Beide taumelten zu Boden. Tapferer Mann kämpfte um sein Leben. Er trat um sich und schrie gellend, da er der Kraft des erwachsenen Kriegers kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Er starrte in die von tödlichem Haß erfüllten Augen des Mannes. Plötzlich sickerte Blut aus den Mundwinkeln des Feindes und tropfte bei jedem seiner gequälten Atemzüge auf Tapferer Manns Gesicht.
Tapferer Mann gelang es, dem Mann mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen und sich mit schlängelnden Bewegungen aus seiner Reichweite zu entfernen. Als er versuchte, aufzustehen, bemerkte er entsetzt, wie der Krieger langsam auf ihn zukroch. Blutiger Schaum troff aus dem Mund des Mannes, hellrote Blasen befleckten den Boden.
An das, was danach geschehen war, konnte er sich nicht erinnern. Erst später erzählte ihm Felsmaus, sie habe geschrien, um die anderen Weißlehm-Krieger aufmerksam zu machen; doch ein feindlicher Krieger sei herbeigeeilt und habe ihm einen beinahe tödlichen Schlag auf den Kopf verpaßt, der nur seine Kopfhaut aufgerissen und ihn zu Boden geschmettert hatte. Sie aber habe geglaubt, der Schlag habe ihn getötet. Aber ich lebte. Das Bild verblaßte und versank im Nebel der Erinnerung. Während er Windläufers immer kleiner werdenden Gestalt nachblickte, betastete Tapferer Mann die gezackte Narbe unter seinem dichten Haar. Die Stimmen wisperten ihm zu, und die Erinnerungen kehrten zurück…
In der Dunkelheit hatte Tapferer Mann das Bewußtsein wiedererlangt. Sein Kopf schmerzte brennend, und sein Blick war verschwommen; alles sah seltsam unscharf aus, gleichzeitig tanzten flimmernde Lichtpunkte durch die Finsternis. Das Rascheln der Pappelblätter im Nachtwind dröhnte in seinen Ohren wie das Klappern und Krachen aneinanderschlagender, tanzender Knochen.
Er taumelte auf die Füße und torkelte zwischen den leeren Zelten im Lager der Toten umher, bahnte sich, von Panik erfüllt, im Zickzack den Weg um die überall herumliegenden Leichen. Er erkannte das Gesicht seines Vaters, aufgedunsen, angefressen von Aasgeiern. Aus dem Bauch seiner Mutter, die auf dem Rücken hingestreckt danebenlag, quollen die verwüsteten Eingeweide. Dunkle Gestalten schlichen zwischen den Toten umher. Sie gingen ihm geflissentlich aus dem Weg, stahlen sich auf lautlosen Füßen durch die Schatten der Nacht.
Durch die Höllenqualen seines hämmernden Kopfes hindurch drängten ihn flüsternde Stimmen zur Flucht. Fast wahnsinnig vor Entsetzen, begann er zu laufen. Er stürmte aus dem Lager der Toten hinaus auf das dahinterliegende Grasland. Die Seelen der zornigen Toten rauschten bedrohlich in der Luft und griffen mit verfaulten Fingern nach ihm. Er spürte noch das Zuschnappen ihres tödlichen Griffs, dann drehte sich die Welt um ihn, hob und senkte sich, und ihm wurde schwarz vor Augen. Er merkte nicht, wie er zu Boden stürzte, sah nur die in seinem Kopf explodierenden Lichter.
Als er wieder zu sich kam, stand die Sonne hoch am Himmel. Ihre stechenden Strahlen blendeten seine entzündeten Augen. Er streckte sich im hohen Gras aus, in den Bäumen sangen und zwitscherten die Vögel. Die Stimmen in seinem Kopf wisperten und lachten, um gleich darauf wieder gräßlich zu jammern.
Unter größten Qualen kroch er zum Lager zurück und entdeckte fremde Krieger zwischen den Zelten.
Manche hatten ihre Tragen und Beutel mit geplünderten Habseligkeiten
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