Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
einer Höhle wider.
Der Traum verblaßte mehr und mehr, und die zarten Fäden der tröstlichen Vergangenheit zerrissen.
Voller Wehmut sah sie die Traumbilder davonschweben wie Blätter im Herbstwind.
Neben ihr bewegte sich jemand. Sofort packte sie Abscheu. Drei Bullen!
Schmerz und Gewalt! Nicht noch einmal! Sie könnte es nicht ertragen. Nicht noch einmal! Schlagartig erwachte sie. Tränen der Verzweiflung stiegen in ihr auf.
»Weiße Esche?« flüsterte ihr eine sanfte Stimme ins Ohr. »Alles in Ordnung? Du bist hochgeschreckt und hast geschrien. Es war nur ein Traum, weiter nichts. Nur ein Traum.«
Kranker Bauch drehte sich um, kuschelte sich an sie und tätschelte beruhigend ihre Schulter. »Schlaf weiter«, murmelte er. »Plage weckt uns, wenn etwas Ungewöhnliches passiert. Schlaf und träume nicht. Morgen sieht die Welt wieder anders aus.«
Eine Windbö drang durch die Salbei- und Beifußsträucher bis in den Wacholderhain. Sie fröstelte in der vom Boden aufsteigenden Kälte. »Daran glaubst du wirklich, nicht wahr? Daß die Welt morgen besser ist?«
Er drückte sie an sich. »Natürlich. Die Macht hat mich zu dir geschickt. Du bist etwas Besonderes, Weiße Esche. Ein besonderer und wundervoller Mensch.«
Sie bewegte sich und stieß dabei mit ihren Beinen an Plage. Der Hund stand auf und schüttelte sich. Er stieg über ihre Beine und ließ sich mit einem zufriedenen Grunzen in eine Wölbung der Decke vor ihre Arme fallen. Nach einem langen Seufzer rollte er sich zusammen und schob die Schnauze unter seinen Schwanz. Die Wärme des Tieres drang durch die Decke.
»Halt mich fest«, flüsterte sie Kranker Bauch zu und spürte, wie er seinen Arm um sie legte.
»Dir droht keine Gefahr«, versicherte er ihr. »Ich bin ja da.«
Von beiden Seiten von tröstlicher Wärme geschützt, sank sie wieder in Schlaf.
Schmerz.
Tapferer Mann stöhnte.
»Lieg still«, befahl jemand.
»Was? Wo bin ich?« Seine Stimme klang merkwürdig dumpf und undeutlich als habe er den Mund voller Federn.
»In Büffelschwanz' Lager, Krieger.« Es war die Stimme einer Frau.
Schmerz.
Stöhnend öffnete Tapferer Mann die Augen und versuchte, klar zu sehen. Er lag auf dem Rücken und starrte auf rußgeschwärzte Zeltstangen und eine vom Rauch verfärbte Zeltwand aus Büffelhäuten.
Durch das Abzugsloch konnte er ein Stückchen des bewölkten Himmels sehen.
Sein Kopf schmerzte, als hätte ihm jemand Speere ins Gehirn gebohrt, und sein Mund fühlte sich seltsam geschwollen an. Sobald er die Zunge bewegte und zu schlucken versuchte, litt er Höllenqualen. Trotzdem tastete er mit der Zunge das Innere seines Mundes ab und entdeckte eine Lücke an der Stelle, wo seine Vorderzähne hätten sein sollen. Die Zahnsplitter schnitten in seine Zunge. Er versuchte, sich aufzusetzen, doch eine unerträgliche Qual schien seinen Körper zu zerreißen. Er holte tief Luft und ließ sich wieder zurücksinken.
»Rühr dich nicht«, mahnte die Frau noch einmal. Sie beugte sich vor und legte ihre kühle Hand auf seine Stirn. Trotz seines Zustands konnte er erkennen, daß sie eine beachtliche Schönheit war. Langes schwarzes Haar umrahmte ihr zartknochiges Gesicht. Über ihren intelligenten braunen Augen, die ihn ungerührt musterten, erhob sich eine glatte, hohe Stirn. Ihr leicht geschwungener Mund war schmallippig und verriet Lebhaftigkeit. Ihre ganze Erscheinung verkörperte Anmut verbunden mit Kraft, und obwohl sie Gleichgültigkeit zur Schau trug, wirkte sie sehr entschlossen und tatkräftig.
Erneut bewegte er sich. Ein brennender Schmerz durchzuckte sein Bein und raubte ihm den Atem. Er schnappte nach Luft und versuchte, den aufsteigenden Brechreiz zu unterdrücken. »Weißt du, wer du bist?«
»Tapferer Mann.« Er schluckte. Der schale Geschmack geronnenen Blutes lag unangenehm auf seiner Zunge. »Weißt du, wo du bist?«
Er nickte schwach. »Beim Stamm der Gebrochenen Steine. Ich forderte euren Krieger Falkenklaue zum Kampf heraus.«
»Richtig. Erinnerst du dich an den Kampf?« Ihre sinnliche Stimme gefiel ihm.
Er sog die kühle Luft in die Lungen und schloß die Augen. »Ich habe ihn getötet.«
Ein versonnenes Lächeln umspielte ihren Mund. »Nicht nur das. Du hast ihm die Augen ausgestoßen und den Kiefer abgerissen.«
Er rieb sich die Augen. Wenigstens sein Arm schmerzte nicht. »Bin ich würdig genug für den Stamm der Gebrochenen Steine?«
»Falkenklaue war unser größter Krieger.« Sie zog ihre scharf konturierten Augenbrauen
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